Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
fliegen würde
wie Schlagsahne in einer Jet-Turbine.
1998.
Das Jahr, in dem wir Weihnachtsgeschenke noch mit richtigem
Geld bezahlen konnten, das Jahr, in dem wir vom elften September noch sagen
konnten: »Ist der Tach nach dem Zehnten, ’n Freitag, und?«, das Jahr, in dem
ich dummerweise meiner Freundin zuliebe versprach, Heiligabend zusammen mit
ihr, ihrer Schwester und ihrer Mutter zu begehen.
»Und Torsten«, sagte ihre Mutter noch, »wehe, du enttäuschst
mich.«
Was?
Wer mich kannte, wusste, dass es nicht mein Ernst sein
konnte.
Jack the Ripper, das bluttriefende Messer noch in der
Hand:
»Nein, Herr Polizist, ich habe mit der Leiche der KLEINEN
NUTTE in der Gasse nebenan nichts am Hut. Was für eine absurde Vermutung.«
Polizist, die alarmierende Pfeife quasi schon im Gesicht,
um im Zweifelsfalle hundert Kollegen durch den Londoner Nebel heran zu fiepen:
»Ich dachte nur. Sie kleiden sich im Stile lichtscheuen
Gesindels und sind vollständig mit Blut besudelt, wobei ich das Augenmerk gar
nicht erst auf das pervers scharf geschliffene Instrument in ihrer triefenden
Hand richten möchte. Nun … Die Leiche in der Nachbargasse ist ausgeweidet, in
der Lache unter eben dieser befinden sich Stiefelabdrücke, die den Ihren
trefflich zu Gesicht stehen würden – aber ich irre vermutlich.«
Jack the Ripper: »Ist ja kein Thema. Können Sie das hier
mal halten?«
Genau so war es mit Angies Mutter und mir. Ich sagte zu,
weil die Regeln des Moments es geboten.
Nur ein komplett die Tatsachen und jeden Erfahrungswert
ignorierender Depp konnte zur Ansicht gelangen, ich würde ihn Heiligabend
mitten in der Nacht zur Christmette begleiten. Hatte ich nicht schon oft genug
demonstriert, dass mit mir nicht zu rechnen ist, wenn die von mir erwünschten
Aktivitäten Ein- und Ausatmen überschritten?
»Das ist so romantisch«, sagte Angie, und meinte: »Jetzt wo
ich gesagt habe, ich finde es romantisch, kommt eine emotionale Komponente
hinzu, die es doppelt schlimm macht, wenn du Scheiße baust, Freundchen.«
»Find ich auch«, erwiderte ich, und meinte: »Erwähnte ich
die Jack the Ripper-Metapher?«
Heiligabend.
Barbaras Mutter hatte eine original bürgerliche Weihnacht
inszeniert.
Das große Haus, Bungalow-Bauweise, war Angies Mutter bei der
Scheidung zugefallen. Die Weihnachtsdekoration hatte sie vermutlich später
gekauft, andernfalls war sie wahrscheinlich Trennungsgrund gewesen:
Holzzyklopen aus dem Harz lungerten auf dem Kaminsims herum, krankhaft von
innen beleuchtete Rauschgoldengel aus Blech hingen in jedem freien Winkel des
Wohnzimmers, und der Baum war eine wuchtige, flirrende Obszönität. Jetzt kannte
ich den Grund für die Schilder in Dortmunder Geschäften, die »Christbaumkugeln
ausverkauft« brüllten. Ich vermute übrigens nur, dass sich tatsächlich eine
Tanne im Gebäude befand, denn das Ding mit dem Holzstumpf im Bottich war so von
silbernen Kugeln befallen, als hätte es sich einen verchromten Killervirus
eingefangen.
Kein Grün in Sicht.
Auch für dieses baumelnde Gezumpel, dessen präziser Name mir
gerade entfallen ist, der aber irgendwie nach italienischem Mafiaboss klingt,
hatte man erstaunlicherweise noch Platz gefunden.
Ray Liotta?
Die Domspatzen – oder Donkosaken oder Sackspatzen oder wer
zum Heiland auch immer – sangen vielkehlig von stiller Nacht, und der Geruch von
Zimt erfüllte den Raum, prallte gegen die Textiltapete und stach mir
schmerzlich in die Kapillargefässe.
»Guter Gott«, sagte ich.
»Ihr Kinderlein kommet«, sagte Barbaras Mutter strahlend,
und zupfte an ihrer Trussardi-Bluse, deren eingesticktes Logo, wie es schien,
ein Schwein mit Halstuch zeigte. Ich fand Wochen später heraus, dass es einen
Windhund darstellen sollte, aber an diesem Abend ging ich nicht nah genug
heran.
Flucht aus Absolom , schrie Ray Liotta in meinem Kopf,
und dann fiel mir der Name für die schlaffen Drähte wieder ein, die am
Weihnachtsmonstrum klebten, aber zu spät für solche Überlegungen: DING-DONG!
Ich war eingekesselt.
Barbaras Schwester nebst Freund erschien; ich hatte sie nur
zu seltenen Anlässen getroffen, deswegen traf mich ihr Anblick mit voller
Wucht. Auch sie strahlte gediegenen Gutsherrencharme aus: Pferdeschwanz,
Kaschmirpulli mit Schalschwein, klassisch besticktes Halstuch, flankiert von
Benno, der eher Aigner-Fan war, denn jede Komponente seiner Kleidung wies
vergoldete Pferdetrensen oder Steigbügel-Kokolores in Miniatur auf.
»N’Am’d«,
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