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Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Titel: Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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mit Plüschohren und einem
Puschel am Tanga auf, verschwand aber umgehend wieder in einer Rauchsäule;
offenbar produzierte mein Hirn Nachwehen von etwas, das ich nicht erleben
würde.
    »Das hier ist Werner, kennste ja«, wies Erwin auf seinen
alten Freund Polenwerner, der zu Weihnachten offenbar eine Handytasche
geschenkt bekommen hatte.
    In dieses Lederbehältnis hatte er den Beutel seines künstlichen
Darmausgangs gepresst, der so beängstigend prall zwischen den überforderten
Ritzen der Tasche hervor quoll, dass sich mir Bilder von rissigen Staudämmen,
die über unschuldigen Dörfchen aufragten, aufdrängten.
    Ich nickte ihm zu und er erwiderte meine Begrüßung mit
käsiger Verschmitztheit.
    »Das hier sind Erna und Horst Bertelmann. Erna … Horst …
mein Neffe.«
    Zuerst wollten meine Augen mich glauben machen, die beiden
wären aus Pappmaché oder eine voll bekleidete Leihgabe der
»Körperwelten«-Ausstellung, aber als beide halsschwabbelnd »Na dann guten
Rutsch« wünschten, zuckte ich kurz zusammen und nahm ihre Lebendigkeit hin.
    Die Schallplatte gab nun »Weil du ein zärtlicher Mann bist«,
und Erwin stellte mir den letzten Gast vor.
    Meine Oma kannte ich schließlich schon, und wir hatten uns
beiläufig einen angenehmen Abend gewünscht, wobei nur meine Stimme ein wenig
flehend geklungen hatte.
    »Das ist die Astrid. Wir haben uns in der Innenstadt kennen
gelernt«, sagte er ein bisschen lüstern.
    »Hallo«, grüßte ich.
    Astrid. Kein unmoderner Name. Ich war nicht in der Lage, das
Alter der Frau zu schätzen, aber ich tippte auf eine etwas verlebte
Zweiundachtzigjährige. Ich dachte mir, Modevornamen kehren zurück, so, wie sich
der Tacho eines Oldtimers einmal dreht und dann wieder bei Null beginnt, aber
wenn das stimmte, wäre der Modevorname des nächsten Jahres vermutlich
Nofretete. Ich wischte diese Gedanken weg.
    Was war das für ein komischer Geruch?
    »So. Jetzt wird’s gemütlich, Kinder!«
    Erwin trug ein unglaubliches Glasmonstrum ins Zimmer, auf
dessen Öffnung der Rost seines Schrebergartengrills lag; ein Zuckerhut, der
leicht nach Mottenpulver und amerikanischer Trinkergosse der Fünfziger roch,
klebte auf dem Metallgestänge. Eine zähe Flüssigkeit unbestimmbarer Farbe
schwappte in der Bowle, und Schwaden stiegen von ihr auf.
    »Jetzt machen wir es wie Rühmann, Freunde.
FEUERZANGENBOWLE!«
    Das Körperweltenpaar klatschte in die Hände, was weiteres
welkes Fleisch in Bewegung brachte, meine Oma schrie verzückt auf und
Polenwerner rief charmant: »Ex oder Arschloch, Kollege!«
    Erwins neue alte Freundin drückte ihm einen Kuss auf die
Wange, und die daraus resultierende Lippenstiftspur hatte verblüffende
Ähnlichkeit mit einer von einer Pumpgun hervorgerufenen Schusswunde.
    Es war schon gemütlich.
    Wenn nur dieser Geruch nicht gewesen wäre.
     
    Der Klumpen auf dem Rost brannte nun. Zäher Zucker tropfte
in die Bowle.
    Als ich an der Reihe war zu kosten, erhob ich Einspruch.
    »Lass mal, davon kriege ich Sodbrennen.«
    »Dann bekommst du einen Schluck Milch, Weichei«, sagte
Erwin, während er die Flüssigkeit in Zinnbecher füllte, die eine Gravur des
Schützenvereines trugen, den Erwin in der späten Kreidezeit mit seiner
Mitgliedschaft bereichert hatte.
    Seine Freundin Astrid strich mir aufmunternd mit der Hand
durchs Gesicht, was sich anfühlte, als würde man mit der Wange in eine Schale
alter Erdnussflips stürzen; also nahm ich einen Schluck.
    Zu sagen, der edle Tropfen wäre etwas rau im Abgang gewesen,
hieße den Jargon echter Kenner zu bemühen.
    Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Polenwerner seinen Becher
hinunterstürzte. Er konnte die Brühe ja auch gefahrlos in seinem Beutel dem
Sondermüll überantworten.
    Die Bowle ätzte feine Bahnen kochenden Fleisches in meinen
Hals, als ich schluckte.
    Ich hörte wie im Wahn Bruce Willis’ Synchronstimme, die
»nicht den blauen Draht, Schweinebacke« schrie, und dann explodierte das
Ergebnis aus Erwins Silvestergiftküche in meinen schutzlosen Eingeweiden.
    Dem Gesicht meiner Oma nach zu urteilen, wechselte meines
die Farbe wie ein Chamäleon auf Speed.
    »Geht’s dir gut, Junge?«
    Ich wollte »Zum Teufel NEIN, Omma, dein sauberer Bruder wird
uns alle töten« brüllen, aber es kam nur brauner Dampf, der nach Verdautem und
dem Geruch von Zuckerwatte einer satanischen Kirmes stank.
    Meine Stimmbänder verhielten sich so flexibel wie ein
Springseil, auf dem ein dickes Kind steht, und der Zucker der Bowle
transportierte

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