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Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Titel: Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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klangen,
wie ein Japaner sich nun einmal den Klang des Big Ben vorstellt, und das neue
Jahr war da.
     
    »Prosit Neujahr«, hallte es durchs Wohnzimmer wie
Geschossgarben, und ich bekam einiges ab.
    Astrid bewegte sich mit einer für ihr Alter unheimlichen
Geschmeidigkeit auf mich zu, und ich konnte ihren Kuss nur durch eine
Abblockkombination abwehren, die ich einmal in einem Steven-Segal-Video gesehen
hatte.
    Erwin riss die Tür des Bauernschrankes auf und schnarrte
»BÖLLER! RAUSTRAGEN! JEDER GREIFT SICH EINEN!«
    Ich gefror in meiner Abwehrbewegung, und alles was dann
passierte, dauerte vielleicht zwei, drei Sekunden. Mir jedoch kam es vor wie
ein voller Arbeitstag als Putzfrau im Auge des Hurrikans. Die Türen des
Schrankes schwangen auf, und der Inhalt kam ans Licht.
    Auf den Regalböden standen Milchtüten, prall wie mordlustige
Kugelfische, und einige von ihnen schienen zu zittern.
    Der Gestank potenzierte sich um den Faktor zehn, um den
Statistikerjargon zu bemühen.
    Um es mit meinen Worten zu sagen: Der Pestodem der Hölle
waberte durch den Raum, und den Körperweltlern beschlug es die Brillen.
    Meine Nasenhaare verglühten augenblicklich, während Erwins
Gesicht einen Ausdruck kindlicher Vorfreude widerspiegelte; dann sah ich
Polenwerner, der sich wie in Trance zum Fenster bewegte, eine Gesichtsfarbe zur
Schau stellend, die an die Gehsteigplatten in einer Fußgängerzone von
Mecklenburg-Vorpommern erinnerte.
    »Neiiiiiiiiiiiiin«, rief ich, meine Stimme nur verzerrt
wahrnehmend, und Polenwerner drehte sich in der Geschwindigkeit eines
Zeitlupenpistoleros aus einem Sergio-Leone-Streifen um, während seine dumme
Hand das Fenster entriegelte.
    Dann schlüpfte ein kleiner winterlicher Hauch kalter Luft
ins Zimmer, unschuldig und neugeboren aus dem Wind eines neuen Dortmunder
Jahres, huschte kühl kitzelnd an meiner Nase vorbei, und machte sich in der
Unsichtbarkeit, die einem Hauch nun mal zu Eigen ist, auf den Weg zum Schrank.
    Der Hauch verursachte einen Temperaturunterschied von 0,002
Grad auf der Oberfläche der zum Bersten prallen Tetrapacks; die Pappe der
Kartonagen veränderte sich unbemerkt in ihrer molekularen Struktur, und ein
findiger Materialprüfer mit ordentlichem Abschluss und der erforderlichen
Motivation hätte mit entsprechendem Equipment eine Überschreitung kritischer
Werte in der Stabilität der Pappe nachweisen können.
    Dafür hätte ihm allerdings nur eine tausendstel Sekunde zur
Verfügung gestanden, denn die Pappkugeln explodierten, und acht Liter
vergorener H-Milch schossen durchs Wohnzimmer.
    Der Gestank war überwältigend, und das Körperweltenpärchen
wurde großflächig torpediert.
    Sie bewegten sich nicht die Bohne, und auch wenn sie ihre
Löffel noch in der Hand hielten, hatte doch jeder für sich seinen
generalstabsmäßig und einwandfrei abgegeben.
    Ich kotzte auf den Teppich und brachte einen Fleck zustande,
den ich noch mal in der Broschüre würde nachschlagen müssen. Sah nicht gut aus.
    Polenwerners Beutel platzte, als er sich zusammenkrümmte,
und was explosionsartig den Beutel verließ, war vergleichsweise nicht mal
unangenehm. Kinderkram sozusagen.
    »SO WAR DAS FRÜHER«, kreischte Erwin, die ohnmächtige Astrid
in den knorrigen Armen und besudelt wie nach einem Terroranschlag auf eine
Samenbank, »VON WEGEN BROT FÜR DIE WELT!«
    Mein Handy klingelte.
    »Gutes neues Jahr, mein Lieber.«
    Uwe.
    »Dir auch. Nette Party?»
    »Ich kann dir sagen. Und bei dir?«
    »Nun«, erwiderte ich, »turbulent. Gewissermaßen.«
    »Dann bist du nicht sauer?«
    »Nö«, erwiderte ich, während mein Blick durchs Zimmer
schweifte – alles war voller brackiger Molkereireste, die Erwin still und
heimlich seit Monaten gezüchtet haben musste – »ich nicht.«
    Aber von Erwins Wohnung konnte man das nicht behaupten.

Weihnacht 2 (Weihnachtswunder)
     
    Anspruch:              
*
    Metapherndichte:    **
    Lerneffekte:           
****
    Romantik:              
*
    Action:                   
***
    Sex:                        
*
     
    »Natürlich«, sagte ich, und es klang nicht schlecht: Überzeugend,
fest – ganz so, als würde ich es tatsächlich ernst meinen.
    »Und das Ganze bitte in Festtagskleidung.«
    »Klar doch.« Noch so eine gute, erdige, in Stein gemeißelte
Erwiderung meinerseits, noch nicht gelogen, weil noch vier Tage von dem
Zeitpunkt entfernt, an dem mir dieses Lügenkonstrukt um die Ohren

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