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Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Titel: Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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an?«
    »Hab da was von meinem toten Oppa«, kam es aus dem
Hintergrund.
    »Also in einer Stunde am Marktplatz.«
     
    Die Stadt war voller als voll, stellte ich fest, während ich
mir im Gehen die Hose hochzog.
    Überall kreischten und erbrachen sich Gestalten in
Schlafkleidung, und die Bushaltestelle am Markt glich einer Klagemauer aus
Kotze und Miniaturfläschchen, die ehedem Fruchtlikör beherbergt hatten und nun
des Erbrochenen gemahnten, das durch den Inhalt eben dieser Fläschchen heraus
getrieben worden war.
    Ich hörte die wummernden Bässe von »Life is Live«, einem
Song, der schon im Original fraglos simpler Käse war, jetzt allerdings zu
grandioser akustischer Scheiße aufblühte und einem schmerzlich die Ohren
verkleisterte.
    Ich sah Daves haarige Pranke aus einer Gruppe Bademäntel winken
und ging rüber.
    Statt einer Begrüßung, reichte er mir wortlos einen
Plastikbecher mit Bier und schlug mir auf die Schulter.
    »Wo ist Uwe?«, fragte ich.
    »Kommt gleich. Holt Gummistiefel.«
    Shit. Das hatte ich vergessen – Dave trug ebenfalls kniehohe
Gummistiefel, und das war sinnig.
    Die Masse sorglos gelockerter Körper um uns herum war
imstande, in wenigen Stunden eine Woge von Urin zu produzieren, auf der man
locker bis nach Hause surfen konnte, sofern man flache Schuhe trug. Wenn man
nicht erpicht darauf war, am Folgemorgen herzlich vergossenes Pipi aus seinen
Socken zu wringen, tat bäuerliches Schuhwerk Not – und das war mir entfallen.
Außerdem potenzierten sich Coolness und Hygiene zu nie geahnten Höhen, wenn man
Schuhe aus Vinyl trug.
    Dave trug einen dünnen Baumwollpyjama mit Blockstreifen,
darunter ein T-Shirt, das einen nach unten gerichteten Pfeil zeigte, über dem DORT 
MUND stand; nach unten hin wurde er eher zu Darth Vader – Schnürlederhose
und eben knallenge Gummistiefel.
    »Musste halt heute ’n bisschen geschmeidig sein«, lächelte
er mit mildem Blick auf meine Lederslipper, die in ihrer subtilen
Schaufelartigkeit geradezu dazu einluden, im großen Stil vollgestrullt zu
werden.
    »Uwe!«, rief Dave.
    Ja. Da kam er, und quatschende Geräusche begleiteten seine
Schritte.
    Das war der Gipfel, erkannte ich neidlos bei Uwes Anblick:
Moosgrünes Frottee mit Entenmotiv – die Hose über den Stiefeln, und das
Oberteil ließ Uwes unbehaarten Bauch frei; er hatte sein Handy in den Gummibund
eingehängt und sah aus wie die Flutkatastrophen-Bereitschaft eines Planeten,
dessen Bewohner ohne Pudding ins Bett mussten, wenn sie nicht artig gewesen
waren.
    »Kalt«, sagte er und rieb sich die Hände. »Wollen wir rein?«
     
    Innen flogen mit der Lautstärke eines startenden Jumbojets
die Löcher aus dem Käse; die Wände des gigantischen Zeltes waren vom
Kondenswasser der auf Teufel komm raus transpirierenden Ausdruckstänzer
beschlagen.
    Dave nickte zufrieden angesichts der mindestens 5000
anwesenden Gäste – gekleidet im Schlimmsten, was das Vaterland neben
Inkontinenzschlüpfern zu bieten hatte. Wir sahen Holländer in Unterwäsche,
wankende Männer mit Oberlippenbärten, die wie aus der Rocky Horror Show
gewandet waren, wäre diese von Bausparkassenmitarbeitern aus dem Gemüsekeller
der Firmen-Hierarchie aufgeführt worden; ein prominenter Pommesbudenbesitzer
schaffte es, uns anzurempeln, obwohl genug Platz gewesen wäre, um einen
Flugzeugträger einzuparken, und seinem schlaffen Mund entwich der Geruch eines
waidmännisch erlegten Jägermeisters, der nicht so richtig zu den Bahnen
türkisen Tülls passen wollte, die den Mann einhüllten.
    »Die Hölle«, murmelte Uwe, »die Hölle sind die anderen.«
    Dann begann die Band, »Helter Skelter« zu spielen, und auch
wenn dem Sänger anzuhören war, dass er die Strophen auf dem väterlichen
Rübenacker einstudiert hatte, kam nun richtig Stimmung ins Zelt.
    »Hey ho, let’s go«, annoncierte Dave röhrend und griff sich
den nächsten Unglücklichen, der dummerweise auf Armeslänge zu ihm stand.
    So wie angetrunkene Männer ein weibliches Zwinkern – das
vielleicht nur durch eine falsche Wimper ausgelöst wurde – als klare Einladung
zu unsäglichen Akten kommunikationsloser Kopulation begreifen, begann Dave Pogo
zu tanzen, wenn er auch nur der Farbkopie einer E-Gitarre ansichtig wurde.
    »Warte mal«, brüllte Uwe, aber Dave war bereits im Begriff,
in ein farbloses Ehepaar in Tschibo-Hausanzügen zu grätschen, das daraufhin in
eine Gruppe durchgeschwitzter Türken stürzte.
    Ich kam ihnen zu Hilfe – gerade rechtzeitig – bevor sich

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