Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
grüßte ich.
»Frohe Weihnacht, Bursche«, erwiderte Benno, und ich wollte
ihm gerade den Saum seines Gewandes küssen, als Barbaras Mutter »Der Karpfen
ist fertig« rief, was ich unbesehen glaubte.
Wir nahmen am Esstisch Platz, und ich betrachtete eingehend
die Armada arrangierten Bestecks. Gabeln, Messer, Löffel verschiedener Größen,
Zangengedöns, eine Art Mini-Pfannenwender.
»Schön von innen nach außen«, sagte Benno lächelnd; ich
nickte und wünschte ihm murmelnd das Gleiche für seine Eingeweide.
»Was ist das hier«, fragte ich und hielt eine Apparatur
hoch, die aussah, als könne man damit einen Gebissabdruck von Gartenzwergen
nehmen.
»Ein Butterzerlassgefäß«, erwiderte Barbaras Schwester.
Ich fragte mich, welcher perverse Geist dieses Werkzeug
ersonnen haben mochte.
War es die gleiche Kreatur gewesen, die diese Schaber für
Zungenbelag zur Serienreife gebracht hatte?
Oder eine Kopfgeburt des Kretins, der sich für
Autositzbezüge mit Holzkügelchen verantwortlich zeigte?
Nein …
Klar! Wie konnte ich so blind sein?
Dieses Meisterstück sinnlosen Unfugs kam aus der gleichen
Ideenschmiede wie die eingeblendeten Dias mit amateurhafter Sprachuntermalung
vor Hauptfilmen in Kinos:
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»Geht's dir nicht gut? «, fragte Barbara.
»Alles im Lack. Mir war ’n Moment übel. Geht wieder.«
»Hier kommt der Fisch!« rief Barbaras Mutter, und dann kam
der Fisch.
Die Bescherung war gut.
Barbara und ich schenkten uns Dinge, die uns gegenseitig
erfreuten, ihre Schwester und Benno schenkten sich Dinge mit Trensen,
vergoldeten Adlern und Pferdelederapplikationen, der gesichtslose Chor aus der
Stereoanlage schor jedwedes christliche Liedgut über den Kamm glockenklarer
Frömmigkeit, und dann kam der Sekt.
Dann kam der Sekt noch mal, und dann … kam der Sekt noch
mal.
»Bist du angetrunken?«, nagelte mich die Stimme der Hausdame
in den Sessel.
»Japp«, erwiderte ich, »aber vom allerfeinsten. Is’ aber
auch lecker, der.«
»Du weißt, dass wir gleich noch in die Kirche wollen.«
In ihrem Lächeln lag ein unheimliches Lauern, aber der
Alkohol hatte mir eine dandyhafte Gleichmut beschert.
»Joup. Macht mal. Ich komm hier auch allein zurecht.« Meine
meckernde Lache wirkte offenbar nicht ansteckend genug, denn ich erinnere mich,
dann noch gesagt zu haben: »Wenn Wiehern versteinert. Ein Ratgeber in Zeiten
der Gottlosigkeit.«
»Du machst dich jetzt besser frisch.«
Ich wuchtete mich hoch, salutierte und fegte dabei einen
Harzer Golem vom Kaminsims.
»Jawoll, Majestät.«
»Reiß’ dich jetzt zusammen. Meine Mutter ist ziemlich
humorlos, was die Christmette angeht.« Barbaras Stimme war nur ein Raunen.
»Jaha«, entgegnete ich, »Klaro, Darling. ’Türlich. Mach ich.
Locker. Klar. Sicher.«
Mir konnte nur noch ein Wunder helfen.
Benno gab seinem Volvo die Peitsche, und ich spürte die
galoppierenden Vorboten eines gepflegten Sodbrennens heran nahen.
»Die Mette beginnt um Elf«, sagte Barbaras Mutter
unheilschwanger.
Meine Swatch zeigte, wenn Barbara meinen Kopf festhielt und
ich die Augen zusammenkniff, kurz vor zehn abends. Zeit genug, sollte man
meinen.
»Ich muss mal Pipi«, rief ich nach vorn.
Benno bremste fluchend.
»Sekt treibt so«, sagte ich.
»Die Zeit drängt. Wir wollen nicht in der letzen Reihe
sitzen oder gar stehen.«
»Jaup. Eine Minute.«
Es dauerte nur dreißig Sekunden, und alle waren selig.
Die Fahrt verlief schweigend, und nach fünf Minuten hatte
ich das Bedürfnis, eine wichtige, seit Stunden in mir gärende Theorie ins
Wageninnere zu gebären. Die Meinung der anderen interessierte mich tatsächlich
brennend.
»Hört mal«, sagte ich, und alle Köpfe, die nicht unmittelbar
damit beschäftigt waren schwedische Karossen mit Sylt-Aufkleber zu lenken,
ruckten zu mir.
»Ich bin jetzt dahinter gestiegen. Weihnachten ist ein einziger
Bluff.«
»Wie bitte?«
Der Muttermund war ein
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