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Bran

Bran

Titel: Bran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Falke
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der Stelle, an der sich die Arabeske befunden hatte, wurde eine Narbe sichtbar, eine dünne, längst verheilte Narbe, die unter der verbrannten Haut durchschien wie eine gefälschte Unterschrift auf einem Dokument, das man ins Feuer geworfen hatte und das nun langsam von den Flammen verzehrt wurde.
    An diesem Abend liebten sie sich zum letzten Mal. Es war kein akrobatisches Spiel mehr, sondern ein Ringen um Leben und Tod, keine kunstvolle Choreografie von Gliedmaßen und Berührungen, sondern ein brutales Zerren und Reißen, als wollten sie einander der Extremitäten berauben, kein Kapitel im Buch der Liebe, sondern eine Seite aus der Prophezeiung der Verdammnis, kein heiliges Ritual der Lust, sondern ein einziger Schrei des Daseinsschmerzes. Ihre Schwüre waren nun Flüche, ihre Küsse Bisse, ihre Vereinigung ein hasserfüllter Kampf.
    Hinterher wollte er sie ansehen. Sie zog das Leintuch über sich, als sei ihre Blöße ihr jetzt erst bewusst geworden, nachdem er sie wieder und wieder gepflückt hatte. Er riss es ihr herunter. Dann sah er sie.
    Er sah sie mit Augen, von denen der klebrige Schmutz des Schlafes genommen war. Er musste sehr lange geschlafen haben. Doch jetzt war er erwacht. Er sah sie, an deren Haut er Tage und Nächte verbracht hatte, und es war, als versuche er den Himmel wegzuzerren, um die Sonne in ihrer wahren Gestalt zu sehen. Ihre Schönheit blendete und betäubte ihn. Ihr Dasein versengte ihm die Augen und dröhnte in seinen Ohren. Im grellen Glast ihrer Gegenwart, der die sengende Helligkeit der Wüste ausstach und zu einer Finsternis erklärte, vermochte er keine Einzelheit zu unterscheiden.
    Doch darauf kam es an.
    Kundali hielt still. Halb aufgerichtet, die Arme rechts und links über sündige Kissen gebreitet, die Brüste stolz gehoben, ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt, ließ sie seine Musterung über sich ergehen.
    Er beäugte das Mal am Ansatz ihrer Scham, ein schwarzer Felsen vor der Einfahrt in einen schmalen Hafen. Den verhaltenen Schwung ihres Ohrläppchens, wie das Innehalten einer Tänzerin vor dem letzten Schlag, das Tamburin schwebt klirrend in der Luft. Er verglich ihre Hände und Füße mit seiner schmerzenden Erinnerung. Er sog den Duft ihres Nackens ein, in dem sich die Girlande der Wirbel vom Haaransatz bis zum verwehten Gebirgszug ihres Rückgrats erstreckte. Er betrachtete ihre Knie, ihre Handgelenke, das vorletzte Glied des kleinen Fingers, an dem ein winziges Härchen spross wie eine vergessene Blume auf einem Felsenriff jenseits der Brandung, ihre Zehen, der zweite war ein wenig länger als der erste. Er kroch mit der Taschenlampe seiner Neugier in die schwarzen Tunnel ihrer Augen. Ohne zu blinzeln, hielten sie der Inspektion stand.
    »Willst du ein Gutachten schreiben?«, versuchte sie zu witzeln.
    Aber ihre Gestalt blieb ernst wie eine Statue aus kazazuntischem Marmor.
    Dann sahen seine Augen.
    Sie war die Tochter der Kurtisane Leli, gezeugt in einer unauslöschlichen Nacht vor dreißig Jahren.
    Aber seine Intervention hatte sie ihrer Vergangenheit beraubt und ihr dafür eine andere gegeben, mit der sie nicht glücklich werden konnte.
      
    »He!«
    Er reagierte nicht.
    »Du da!«
    Man musste nicht auf alles antworten, was einem zugerufen oder nachgesagt wurde.
    »Fremder.«
    Straner leerte sein Bier und schleuderte den integrierten Becher, der das Getränk gekühlt hatte, über die Plaza. Der Wind fing ihn auf und spielte damit herum, vergnügt und ausgelassen wie ein ganzes Rudel junger Hunde.
    »Dann eben nicht.«
    Die Nacht war angenehm. Warm, aber trocken und überhaupt nicht stickig. Der Monsun hatte der Stadt gutgetan. Anfangs hatte er kaum Abkühlung gebracht. Es war erstaunlich, welche Mengen Wassers dieser Moloch von einer Großagglomeration aufnehmen konnte, ohne dass sich die Tagestemperaturen merklich senkten. Die Feuchte war gestiegen. Auch das schien nicht selbstverständlich. Denn selbst während der sogenannten Trockenzeit war die Hitze in der inneren Stadt schwül und stickig, dass das Atmen schwerfiel. Die ersten Tage des Monsuns waren wie ein Aufenthalt im Serafiden-Bad, wenn der Zeremonienmeister aus einer hölzernen Schöpfkelle Wasser auf den Ofen goss. Unbewegt dasitzend oder -liegend, spürte man, wie einem der Schweiß aus allen Poren brach.
    Doch dann, nach Wochen ununterbrochenen Regens, in denen die Wolkenbrüche nymphoman ineinander übergegangen waren und die Gewitter sich die Klinke in die Hand gegeben hatten wie Freier

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