Bran
geweiteten Pupillen Einfallstore für ihre polizeilichen Erkundigungen wären. Oder als ob es einer solchen Einladung bedurft hätte.
»Das habe ich längst getan«, erwiderte sie ruhig. »Das ist ja mein Problem. Ich werde daraus nicht schlau.«
Straner ließ sich in die sensorischen Kissen zurücksinken und klopfte mit dem Fingerknöchel an seinen Schädel.
»Ja!« Sie zauberte die Ahnung eines Lächelns hervor. Wie ein schüchterner Vogel, den sie bis dahin in der Handfläche verborgen gehabt hatte. »Du kannst sehr stolz auf deinen Holzkopf sein.«
Plötzlich zog sie die Haarnadel aus ihrer peinlich gescheitelten Frisur. Es war ein Kohlefaserstift, der in eine intelligente Spitze auslief. Als sie das Gerät aktivierte, leuchtete die Spitze rubinrot auf. Ihr Handgelenkstattoo erzeugte ein holografisches Bedienfeld, auf dem sie mit dem Stift einige Symbole hin und her schob. Dann deaktivierte sie das Feld und den Stift wieder.
Straner hatte während des ganzen Vorgangs die Augen nicht von ihr genommen. Ihr auf einer Seite geöffnetes Haar war ihr auf die Schulter herabgefallen. Ihr Gesicht hatte sich verändert. Es war viel weicher. Für einige Sekunden war alles Strenge von ihr gewichen, so wie es abends von ihr abfallen würde, wenn sie einschlief. Vielleicht. Straner war sich da nicht so sicher.
Während sie die Eingaben ausführte, hatte sie unwillkürlich geschielt. Für unbestimmte Zeit war sie ein Schulmädchen, das sich auf eine Aufgabe konzentrieren musste, die über seine Kräfte ging.
Die Haarnadel in der Hand, sah sie ihn an, der immer noch den Blick nicht von ihr nehmen konnte. Ihre Fäuste waren an seinen Schläfen, dabei saß sie am anderen Ende des Raumes, mehrere Schritte von ihm entfernt. Der Druck auf beiden Seiten seiner Stirne nahm zu. Etwas zerquetschte ihm den Schädel. Er tastete im Geiste nach seinen Schläfenimplantaten, um sie zu deaktivieren, aber er hatte keine Kontrolle mehr über sie.
Dann spürte er, wie ihr Geist von ihm Besitz nahm. Ihr Wille zwang sich dem seinen auf, glitt in ihn hinein wie der Lauf einer Strahlenwaffe in die Halterung. Kühl und bestimmt, wie blauer Stahl, schloss sich etwas um ihn.
Ihre Augen waren unmittelbar vor den seinen. Er hatte gar nicht mitbekommen, wie sie aufgestanden war und die Strecke zwischen ihnen überwunden hatte. Die blauen Irisringe glühten unerträglich. Sie fraßen sich wie Laser in sein Hirn.
Er sah ihr Zuhause. Eine bescheidene, aber peinlich saubere Wohnung in der serafidischen Vorstadt. Untere Mittelschicht. Armut und Fleiß. Im Hof spielten Kinder, ihre Geschwister. Er sah ihren Vater. Einen kleinwüchsigen Mann mit schwarzer Barttracht, Geistlicher seiner Religion und Schullehrer. Das dunkle Stechen seiner Augen, die noch nie gelacht hatten. Er spürte seine Strenge als körperlichen Druck, der ihm den Atem nahm, seinen Ehrgeiz. Den Lerneifer seiner Tochter, die morgens vor den anderen aufstand, um sich um die kleine Haushaltung zu kümmern. Immerhin: fünf jüngere Geschwister. Abends lernte sie. Immerzu gab es Prüfungen, auf die sie sich vorbereiten musste. Wenn sie sie bestand, kamen andere Prüfungen, sie wurden immer noch wichtiger. Dann die Stelle. Im Ministerium. Der Stolz ihres Vaters, der jedoch nie ausgesprochen wurde, sondern sich in neuerlicher Strenge, vergrößertem Druck mitteilte. Er sah sie, die einem jungen Mann zur Frau gegeben wurde, einem Glaubensbruder, versteht sich, einem unscheinbaren, schmächtigen Kerl, der sein blasses Gesicht hinter einem dicken schwarzen Bart verbarg. Er spürte, was sie in diesem Augenblick empfand. Nichts. Nicht einmal Ekel oder Abscheu.
Der Schmerz zwischen seinen Schläfen zermalmte ihn. Etwas Feuchtes war auf seinen Augen. Als er wieder Atem schöpfen konnte, begriff er, dass es seine eigene schweißnasse Hand war, mit der er nach seiner Stirn getastet hatte.
Cejla saß an ihrem Platz und richtete ihr Haar, das sie ohne Spiegel scheitelte und mit der Nadel zusammenfasste.
Ein Weh war in seiner Brust, wie wenn man die körperliche Liebe derart in die Länge zog, dass sie keine Lust mehr bot, sondern nur noch Qual.
»Was ist mit deiner Mutter?« Er hörte seine Stimme nicht, obwohl er überzeugt war, dass sie rau und heiser klingen müsse.
»Gestorben.« Auch die Antwort dröhnte in seinem Schädel wider. Gleichzeitig war ihre Stimme in seinem Kopf ganz leise, fern und zart. Und da war noch etwas. Die Erinnerung an etwas, das nicht stattgefunden hatte. Auf seinen
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