Brandbücher - Kriminalroman
dem Pott kommt, sondern von hier. Ich bin sicher, dass das die Braunhemden waren. Letztens habe ich einen gesehen, im Kino, wie der sich aufgeführt hat. Als ob ihm die Welt gehören würde. Gerhard und ich sind ihm aus dem Weg gegangen. Ich bin nur froh, dass mein Gerhard damit nichts am Hut hat.
Karina steckte die verwitterte, graue Mappe aus dem Tresor in ihre Umhängetasche. Sie hatte die Papiere in der Mappe überflogen. Die Schrift war eine andere als auf den Postkarten, aber auch sie war nicht immer leicht zu entziffern. Vor allem, wenn ihre Tante sehr klein geschrieben hatte. Dann nutzte sie die Tabelle, die sie sich gemacht hatte, um den Text auf den Postkarten zu entschlüsseln. Die klein gedruckten Formulare konnte sie gar nicht lesen. Dafür musste sie sich zuerst mit der Druckfassung der deutschen Schrift beschäftigen.
Die Mappe war das Einzige, was in dem Tresor lag. Karina wunderte sich, dass ihre Großtante diese Unterlagen nicht mitgenommen hatte. Vielleicht war sie nicht mehr dazu gekommen. Wenn sie ehrlich zu sich war, reizte es sie, herauszufinden, was da geschrieben stand. Karina sah auf ihre Armbanduhr. Es war inzwischen kurz vor neun und sie beschloss, sich im Archiv der Tageszeitung über die Zeit, über die ihre Tante berichtete, zu informieren.
Als Karina auf dem Parkplatz der Münsterländer Morgenpost stand, ging ihr durch den Kopf: Gab es die Zeitung damals überhaupt schon? Wieder stellte sie fest, dass sie viele Dinge als selbstverständlich voraussetzte, die vor dem Zweiten Weltkrieg womöglich ganz anders waren als heute.
»Aber es gab damals schon Kinos, wieso sollte es keine Zeitungen gegeben haben?«, beschimpfte sie sich wegen ihrer Dummheit. Schon regte sich Widerspruch in ihr. Eine Deutschstunde fiel ihr ein, in der über die Literatur in der Nachkriegszeit gesprochen worden war und darüber, dass Verlage nach dem Krieg nicht einfach so weiterarbeiten konnten wie vorher. Entschlossen stieg Karina aus dem Auto. Die Mappe und das Dürer-Bild verstaute sie im Kofferraum, ehe sie den Empfangsbereich des Zeitungsverlags betrat. Schon auf den ersten Blick erkannte sie, dass das Unternehmen nicht erst nach dem Krieg gegründet worden war. ›1854 bis 2004 – 150 Jahre am Puls der Zeit‹, stand in großen schwarzen Buchstaben an der Wand.
»Guten Tag, mein Name ist Karina Bessling, ich interessiere mich für Zeitungen aus den 30er-Jahren«, sprach Karina die Frau hinter der Informationstheke an.
Zunächst sah diese Karina verständnislos an. »Von wann sollen die Zeitungen sein?«, fragte sie nach.
»Aus den 30er-Jahren. Ich räume gerade das Haus meiner Großtante aus und möchte gerne wissen, wie es war, als sie hier gelebt hat«, antwortete Karina geduldig. Sie konnte die Frau verstehen, vermutlich kam nicht sehr oft jemand vorbei und wollte 80 Jahre alte Zeitungen ansehen.
»Wir haben hier vorn im Empfangsbereich nur die letzten zehn Jahre, tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann«, entgegnete die Frau und schlitzte weiter Briefe auf. Das Telefon klingelte. Die Frau drückte auf einen Knopf und sprach in das Mikrofon ihres Headsets: »Münsterländer Morgenpost, guten Tag, womit können wir Ihnen behilflich sein?«
Karina hörte, wie die Frau dem Anrufer sagte: »Da muss ich Sie in die Redaktion verbinden, einen Augenblick bitte.« Wieder drückte die Frau einen Knopf. Als sie sich dem nächsten Brief zuwenden wollte, bemerkte sie Karina, die beharrlich an der Theke stand.
»Ich habe doch gesagt, wir haben hier nur die letzten zehn Jahre!« Der Ton der Frau klang etwas schärfer als vorher.
Karina ärgerte sich. »Dann hätte ich gerne den Leiter der Verlags gesprochen!«, sagte sie und versuchte, bestimmt zu klingen. Dank ihres Studiums in einem männerdominierten Fach hatte sie viel Übung darin, im rechten Moment alle Unsicherheit aus der Stimme zu verdrängen und selbstbewusst aufzutreten. Das wirkte auch jetzt ein wenig. Immerhin fragte die Frau: »Meinen Sie den Verleger, den Chefredakteur oder den Anzeigenleiter?«, auch wenn ihre Stimme schnippisch klang.
Innerlich ärgerte sich Karina über diesen Ton, doch sie ließ sich nichts anmerken. Selbst dann nicht, als das Telefon klingelte und die Frau säuselte: »Oh, Herr Doktor Möllering, ich schau mal, ob der Chef gerade frei ist!«
Am liebsten hätte Karina gerufen: Er ist nicht frei, ich will ihn jetzt sprechen. Sie hatte jedoch bereits entschieden, dass es besser war, mit dem Verleger zu sprechen.
Weitere Kostenlose Bücher