Brandbücher - Kriminalroman
abendlichen Ausflügen meist Treffen mit Kommilitonen zum Lernen vorschützte. Das konnte Samuel ohne Bedenken an den Vater seines Freundes weitergeben, obwohl er ahnte, dass auch ein Theologe im ersten Semester nicht jeden Abend und jede Nacht lernen musste.
Die Woche über grüßte Bruno Samuel kurz und erkundigte sich beim Frühstück beiläufig, wie es bei den Medizinern aussähe, ob Samuel wieder eine Leiche gefleddert habe. In der letzten Zeit kam es gelegentlich vor, dass er nebenbei fragte: »Dürfen Juden Leichen auseinanderschneiden?« Samuel horchte jedes Mal auf, seine Religion war zuvor selten ein Thema zwischen ihnen gewesen.
Sobald die beiden in dem Auto von Brunos Vater wieder zu Hause eingetroffen waren, tat Bruno, als wären sie noch immer die dicksten Freunde. So hatte er Samuel an diesem Freitag überredet, mit ihm in den Film ›Die Drei von der Tankstelle‹ zu gehen, der in dem kleinen Kino an der Heilig-Geist-Straße gezeigt wurde.
Noch als sie aus dem Kino kamen, schwärmte Bruno von Lilian Harvey, die in dem Film die Hauptrolle spielte.
»Ein Rasseweib«, sagte Bruno und setzte dabei dieses lüsterne Grinsen auf, das er auch hatte, wenn sie die verbotenen Bücher lasen.
Der Begriff ›Rasse‹ rief bei Samuel ein Ziehen im Bauch hervor. Seit Hitler Reichskanzler geworden war, hörte er immer wieder Bemerkungen darüber, dass die Juden das Geld besäßen und die echten Deutschen sehen könnten, wo sie blieben.
Ehe Samuel auf Brunos Schwärmereien reagieren konnte, sprach ihr ehemaliger Mitschüler Alfred Finke sie an.
»Mensch Bruno, wie geht es denn?«, fragte er Bruno und knuffte ihm in die Seite, als wären sie die besten Freunde. Bruno antwortete mit einem Schulterklopfen und einem jovialen »Na, Alfred, altes Haus.«
Alfred beachtete Samuel nicht. »Hast du Lust, mit uns rüber in die Kneipe zu gehen und ein Bier zu trinken?«, fuhr er fort. Samuel kam es so vor, als drehte er ihm absichtlich den Rücken zu. Er fröstelte, obwohl der Vorraum des Kinos gut geheizt war.
Alfred trug ein braunes Hemd zu einer braunen weiten Hose, die in schweren, schwarzen Stiefeln endeten. In Münster hatte er diese neue Uniform bereits gesehen. »Die Braunhemden«, flüsterten sich die jüdischen Studenten zu und drückten sich gegen die Wände, um nicht gesehen zu werden.
Hier brauchte Samuel sich nicht gegen die Wand zu drücken, das erledigte Alfred, indem er ihn wie Luft behandelte. Ausgerechnet Alfred, der Bruno auf dem Gymnasium mehrfach hatte abblitzen lassen, als er von ihm die Hausaufgaben abschreiben wollte. Nun tat er so, als seien sie gute alte Freunde, die sich ewig nicht gesehen hatten. Und Bruno? Der schien sich gar nicht an die Schulzeit zu erinnern. Er klopfte Alfred auf die Schulter und rief: »Mensch, Alfred, das ist ja schön, dich zu sehen. Klar komme ich mit. Hast du den Film gerade gesehen?« Er verwickelte Alfred in ein Gespräch, bei dem Samuel außen vor blieb.
Bereits als die beiden den Ausgang erreichten, sprachen sie über die wunderbare Zukunft, die die neue Partei und die neue Politik ihnen versprach. Samuel war ihnen möglichst unauffällig gefolgt, weil es nur diese eine Ausgangstür gab.
Euch vielleicht, dachte er verbittert und schob sich in die Grünstraße, auch wenn der Heimweg dadurch länger wurde. Hauptsache, er entkam diesen Judenhassern.
5
15SH5693
Jetzt geht es also los! Heute war Bernhard Schmelting bei uns im Laden. Ich habe Herrn Weizmann gerade sein Frühstück gebracht, a ls er kam. Die Braunen haben den Jupp, seinen Sohn, zusammengeschlagen. Dabei hat der sich nur in Raesfeld auf dem Schloss mit Jugendlichen aus dem Ruhrgebiet getroffen. Schmeltings haben Verwandte im Ruhrgebiet, Bernhards Frau kommt daher. Ein Vetter hat Jupp eingeladen, weil das Schloss doch nicht weit weg ist.
15SH5693
Die Jungs ha b en auf dem Schloss Ritter gespielt. Ganz harmlos, wie Jungs das eben gerne machen. Das Schloss stand lange leer, Geisterschloss haben wir es oft genannt, wenn wir da spazieren gegangen sind. Dann hat dieser Lehrer aus Bottrop oder Bochum den Grafen irgendwie überredet, ihm das Schloss zu geben. Es kam sogar extra einer aus Düsseldorf, um das Schloss neu aufzubauen.
15SH5693
Jetzt ist alles wieder kaputt. Ein paar Jungs, die sich die Gesi c hter schwarz angemalt haben, haben sich nachts auf die schlafenden Jungs aus dem Ruhrgebiet gestürzt, und auf Jupp eben. Herr Schmelting meint, dass Jupp am meisten abgekriegt hat, weil er nicht aus
Weitere Kostenlose Bücher