Brandbücher - Kriminalroman
Brot eines Pfarrers.«
Karina lachte. »Na gut, wenn Sie gerade Zeit haben. Dann sollten wir uns aber einen weiteren Kaffee holen.«
Der Pfarrer sprang auf und ging zur Theke. »Milch?«, rief er.
»Nein!«, gab Karina zurück. Sie zog den Webstick von ihrem Netbook ab und schob beides in ihre Tasche.
Martin Kleine stellte einen Kaffeebecher vor sie hin. »Dann erzählen Sie mal«, forderte er sie auf, setzte sich und lehnte sich mit dem zweiten Kaffeebecher zurück.
Karina berichtete von dem Auftrag, das Haus der Großeltern und ihrer Großtante auszuräumen, damit es verkauft werden konnte. Sie schilderte, wie sie die Postkarten auf dem Dachboden gefunden hatte und wie sie sie in die 30er-Jahre entführt hatten.
Der Pfarrer hörte ihr aufmerksam zu. Mal trank er einen Schluck Kaffee, dann strich er sich durch das kurze Haar. Als sie von den Postkarten sprach, blitzte es in seinen Augen. Ein sympathisches Blitzen, ganz anders als das nervöse Flackern in den Augen des Verlegers. Der Mann gefiel ihr. Er hatte schöne, gleichmäßige Zähne, darauf achtete Karina bei anderen Menschen besonders. »Zähne sind der Spiegel der Seele«, hatte ihr Großvater immer gesagt, wenn sie sich in den Ferien vor dem abendlichen Zähneputzen drücken wollte. Braune Zähne, braune Seele, hieß es oft, wenn sie nach dem Abendbrot Schokolade genascht hatte.
Ob ihr Großvater damit mehr gemeint hatte als die Schokolade? Sie hatte nie mit ihm über seine Erlebnisse im Dritten Reich gesprochen. Er war 13 gewesen, als Hitler an die Macht kam. Elf Jahre jünger als seine älteste Schwester.
»Damals war Ihre Großtante wie die meisten Frauen ›in Stellung‹, so nannte man das. Zuerst arbeitete sie bei einem Arzt und danach bei einem Buchhändler.«
Karina sah den Pfarrer überrascht an. »Woher wissen Sie das?«
Ein Lächeln ging über das ganze Gesicht des Pfarrers. Karina spürte, wie ein wohliger Schauer über ihren Rücken zog. Das fehlte ihr gerade, dass sie sich in diesem Kaff in einen Pfarrer verliebte.
»Nachdem Ihre Tante angerufen hat, habe ich in unserer Pfarrei ein bisschen herumgefragt. Noch gibt es einige, die den Krieg und die Anfänge des Dritten Reichs miterlebt haben«, erklärte Martin Kleine und lächelte weiter. »Eine unserer Seniorinnen hat mir von Ihrer Tante erzählt. Wenn ich das richtig verstanden habe, hatten beide den gleichen Arbeitgeber. Einen Arzt. Ihre Tante war zuerst dort und unsere Frau Focke irgendwann später. Die beiden haben sich während des Krieges wohl gelegentlich im Kreis der ledigen Frauen getroffen. Nachdem Ihre Tante in ihr Elternhaus zurückgekehrt ist, brach der Kontakt allerdings ab. Frau Focke konnte sich das nicht erklären. Sie hat auch nie herausgefunden, warum Ihre Tante die Stellung bei dem Arzt aufgegeben hat.« Der Pfarrer machte eine Pause, als warte er auf einen Einschub, eine Ergänzung oder einfach eine Ermunterung zum Weitersprechen.
Karina hing mit ihrem Blick weiter an seinen Lippen, bis sie bemerkte, dass sich die Lippen nicht mehr bewegten. »Schade«, sagte sie schließlich, während sie im Kopf ihre Gedanken sortierte. Der Pfarrer war ihr sympathisch. Lange hatte sie keinen Mann getroffen, der ihr auf den ersten Blick derart gefiel. Er machte den Eindruck, als ob er ihr helfen wollte. Und dennoch. Das merkwürdige Verhalten des Verlegers und des Stadtarchivars hatte sie misstrauisch gemacht. In dieser Stadt waren alle irgendwie miteinander verwandt oder bekannt, darüber hatten ihre Eltern oft gesprochen und ihre Großeltern hatten ihnen zugestimmt.
»Hallo? Sind Sie noch da?« Martin Kleines Stimme riss Karina aus ihren Überlegungen. Sie lachte, über diese Erinnerungen konnte sie ruhig sprechen. »Ich dachte gerade daran, dass meine Großmutter früher immer, wenn ich jemanden mitbrachte, herausfinden wollte, ob sie einen der Verwandten kennt.«
Pfarrer Kleine stimmte in das Lachen ein. »Daran musste ich mich auch erst gewöhnen, als ich die Pfarrei übernommen habe. Anscheinend ist Kleine hier kein seltener Name. Ständig wollte jemand wissen, ob ich von Kleines Jans oder Kleines Tresken war. Anfangs habe ich gar nicht begriffen, was die Leute von mir wollten. Ich komme aus Düsseldorf, da ist nicht jeder mit jedem verwandt, auch wenn jeder jeden kennt.« Er grinste Karina wieder an, seine Augen funkelten.
Karina fiel auf, dass er die Nase kraus zog, wenn er lachte. Wie süß, dachte sie und steckte schnell ihre Nase in den Kaffeebecher, damit er
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