Brandbücher - Kriminalroman
doch, Leute, die nur reden, schaffen nichts. Dieser Hitler redet doch nur und das viel zu laut! Ich möchte gerne wissen, was der in seinem Leben schon gearbeitet hat. Der sieht doch aus, als wäre er immer krank gewesen und hätte sich vor der Arbeit gedrückt.
Karina saß mit ihrer Freundin Jenny vor dem Kamin.
»Mensch, das ist echt kniffelig, diese Karten zu entziffern!« Jenny sah ihre Freundin bewundernd an. Sie enträtselte mühsam ihre erste Karte mithilfe von Karinas Tabelle. Trotzdem war sie nicht immer sicher. »Diese Schrift macht mich wahnsinnig«, stöhnte sie und warf sich nach hinten in den Sessel. Sie zog ihre Beine auf die Sitzfläche und eine Decke bis zu den Schultern hoch. »Gibt es keinen Übersetzer für so etwas?«, knurrte sie missmutig.
»Du wolltest mir doch unbedingt helfen«, entgegnete Karina. Sie war inzwischen nicht mehr sicher, ob der Besuch ihrer Freundin eine gute Idee war. Schon im Café hatte Jenny den Pfarrer schamlos angeflirtet. Karina hätte sich nicht gewundert, wenn sie ihm gefolgt wäre und nicht ihr.
Zu Hause hatte Jenny von Martin Kleine geschwärmt, bis Karina sie anfuhr: »Ich dachte, du wolltest mir helfen und dir nicht den nächstbesten Mann angeln!«
Zum Glück hatte Jenny eingelenkt und sich die Postkarten gegriffen, die auf dem kleinen Tisch neben dem Kamin lagen.
»Vielleicht sollten wir uns die Arbeit aufteilen«, empfahl Jenny. »Du übersetzt die Karten und ich recherchiere im Internet, welche Informationen ich zu dem, was deine Tante schreibt, finde.«
Karina verzog das Gesicht. Auch ihre Freude am Enträtseln der Karten war inzwischen ein wenig geschmälert. Die ersten Karten waren spannend gewesen, doch dann beschrieb ihre Tante den Alltag als Köchin, der Karina überhaupt nicht interessierte.
»Von mir aus«, quetschte Karina schließlich hervor, um gleich darauf vorzuschlagen: »Wäre es nicht besser, wenn ich dir die Übersetzungen diktiere und du sie gleich in den Rechner eingibst?« So konnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, die Karten leserlich aufbereiten und später selbst im Internet recherchieren.
Jenny sah wenig erfreut aus. Sie schob mit Daumen und Zeigefinger ihre dunkelblonden Haare zurück. Karina schmunzelte. Das tat Jenny immer, wenn sie auf eine Frage nicht sofort eine Antwort geben wollte. Jenny setzte sich an den kleinen Tisch, auf dem das Netbook stand. »Mensch, der wackelt aber.« Sie stand auf und zog ein Buch aus dem Regal, das am nächsten stand. »Remarque. Im Westen nichts Neues«, las sie. »Hört sich so an, als könnte ich das getrost unter den Tisch legen, oder?«
Karina achtete nicht darauf. Sie diktierte den Text der Karte, die sie gerade in der Hand hielt. Als sie fertig war und die nächste Karte zur Hand nehmen wollte, bremste Jenny sie. »Lass uns doch mal schauen, ob wir die Wahlplakate im Internet finden«, schlug sie vor und öffnete den Browser der Suchmaschine. Ehe Karina etwas sagen konnte, hatte sie bereits ›Wahlplakate‹ und ›1933‹ eingegeben.
»Mensch, guck doch mal«, rief Jenny so aufgeregt, dass Karina aufsprang und sich hinter sie stellte, um die Seiten auf dem Netbook anzuschauen. »Da ist das Plakat, das deine Tante beschrieben hat. Genau der Blümchenrand«, sprudelte Jenny hervor.
»Und da sieht Hitlers Schnurrbart wirklich aus wie ein Fellstück, das angeklebt wurde!« Begeistert suchte Karina nach weiteren Ähnlichkeiten zu dem, was die Tante beschrieben hatte. Jenny scrollte weiter. »Plakate aus den Landkreisen«, las sie gelangweilt.
»Lass mich mal«, sagte Karina und nahm ihrer Freundin das Netbook aus den Händen. Sie setzte sich in ihren Sessel und klickte sich durch die alphabethische Übersicht. Schließlich hatte sie die Plakate aus der Heimatstadt ihres Vaters gefunden.
»Johann Schulze-Möllering – ein SA-Mann der ersten Stunde!«, las sie leise und starrte auf das Plakat, das einen Soldaten vor einer roten Fahne mit einem Hakenkreuz zeigte. Der Oberkörper füllte das ganze Plakat aus. Der Mann trug eine seltsame Kopfbedeckung, die unter dem Kinn mit einer Art Gürtel befestigt war.
»Oh Mann, wenn die Männer damals alle so aussahen. Dieser Topf auf dem Kopf ist doch total uncool«, lautete Jennys Kommentar, nachdem sie sich aus ihrem Sessel aufgerappelt und sich geräuschvoll hinter Karina gestellt hatte.
Karina scrollte weiter. Auf einem Plakat der Kommunistischen Partei entdeckte sie den Namen ihres Großonkels. »Georg Bessling«, las sie laut.
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