Brandbücher - Kriminalroman
immer, vor allem, seit die Braunhemden sich breitmachten. In Gedanken versunken verließ er den Hörsaal. Als er durch die Tür ging, hörte er einen erstickten Ruf. Er drehte sich um, konnte aber niemanden sehen und ging weiter. Da sah er Aaron auf dem Boden. Ein Braunhemd hielt ihm den Mund zu, zwei andere traten auf ihn ein. Aaron war kreidebleich, doch er stieß mit den Füßen und den Händen nach seinen Peinigern. Gleichzeitig starrte er Samuel an, als wollte er ihn zwingen, davonzulaufen. Doch ehe Samuel daran denken konnte, waren zwei Braunhemden neben ihm. Sie rissen ihm die Tasche aus der Hand.
»Da wollen wir doch einmal schauen, was der kleine Jude so alles bei sich hat«, rief der größere von den beiden. Die Narbe auf seiner Wange brannte feuerrot, nie im Leben würde Samuel dieses Gesicht vergessen. Die kurzen blonden Haare, die grünen Augen, die ihn eiskalt anstarrten, und die Narbe neben der dicken, ekelhaften Nase.
Der Blonde öffnete die Schnallen der Tasche und hielt sie so, dass alle Papiere herausfielen. Nur der Stift nicht, bemerkte Samuel erleichtert. Er hatte sich zu früh gefreut. Der Blonde untersuchte die Tasche und entdeckte den Füllfederhalter.
»Sieh mal einer an!«, brüllte er und trat dicht an Samuel heran, sodass dieser die Alkoholfahne roch und sich schütteln musste. »Woher hat denn ein Saujude einen solchen Stift? Den hat doch sicher einer von uns bezahlt, in dem er dem Papi Wucherzinsen gezahlt hat oder sich von ihm einen Anzug hat schneidern lassen.« Er lachte. »Womöglich einen braunen Anzug, wie er jetzt modern ist?« Er streckte seinen Arm aus, als sollte Samuel den Stoff befühlen, aus dem die Jacke geschneidert war.
Samuel entschied, dass es das Beste war, sich ruhig zu verhalten. Er sah an Aaron, wohin es führte, wenn er sich wehrte. Vielleicht konnte er sich und Aaron auf diese Weise retten. Als der Blonde den Stift seines Vaters jedoch vor seine Füße warf und mit seinen dicken Stiefeln darauf trat, spürte er eine unbändige Wut. Bis zu diesem Tag hatte er niemanden geschlagen. Doch in dem Moment schoss seine rechte Faust nach vorn. Er zielte auf die Narbe seines Gegenübers und traf. Der Kopf flog zurück.
»Das wirst du mir büßen«, schrie der Blonde. Er starrte Samuel an, der auch seine zweite Faust zum Einsatz brachte und dieses Mal den Mund traf. Ein Knirschen zeigte Samuel an, dass er wenigstens einen Zahn getroffen hatte.
Als der Blonde seine Fäuste hob, war hinter ihnen eine tiefe Stimme zu hören. »Meine Herren, was ist hier los?«
Samuel hatte nicht damit gerechnet, dass der Professor noch im Hörsaal war. Er packte blitzschnell seine Tasche, die Papiere und das, was von seinem Stift übrig geblieben war. »Alles in Ordnung«, nuschelte er. Er half Aaron auf und schob ihn aus dem Gebäude, ehe jemand sie aufhalten konnte.
7
23SH5693
Ich weiß nicht, was ich von dieser Musik halten soll. Gerh a rd wollte unbedingt ins Eck, weil dort Jazz gespielt wurde. Ich habe mir extra den Zettel zeigen lassen, damit ich weiß, wie man das schreibt. Dschääß sagt man, und Jazz schreibt man das, komisch. Ich habe nie vorher von dieser Musik gehört. Aber Gerhard schwärmt davon und war ganz begeistert von dem, was wir gehört haben.
23SH5693
Mir gefallen die jungen Männer in den schwarzen Anzügen, die ›Irgendwo auf der Welt‹ singen, auf jeden Fall b esser. Comedian Harmonists heißen die, hat Samuel erzählt. Sie haben in Münster in der Stadthalle gesungen. Aber Gerhard möchte lieber Jazz hören. Hier bei uns kann man sowieso nur selten Musik hören.
23SH5693
Als ich beim Doktor gearbeitet habe, durfte ich beim Silberputzen das Grammophon anstellen. Anfangs konnte i c h gar nicht glauben, dass aus dem komischen Trichter Musik kommen sollte. Aber es ging. Ich musste erst lange kurbeln, aber dann hörte sich das ganz gut an.
23SH5693
Diese Jazz-Musik ist ganz anders. Es waren anfangs nicht viele Leute im Eck. Wir haben einen schönen Platz vorn rechts bekommen, d a konnten wir gut sehen und hören. Gerhard hat die Männer angestarrt, er hat mich kaum beachtet. Also habe ich mir genau angesehen, was sie auf der Bühne machen. Da war einer mit einer Trompete, der stand am Bühnenrand, den konnte man besonders gut hören.
23SH5693
Die Musik war ziemlich laut, deswegen habe ich nicht mitbekommen, dass es voll wurde. Auf einmal habe ich hinter mir einen lauten Pfiff gehört, so einen Pfiff auf zwei Fingern.
Der, d e r gepfiffen hat, saß
Weitere Kostenlose Bücher