Brandbücher - Kriminalroman
sich nicht mehr«, flüsterte Jakob Weizmann.
Samuel wusste nicht, wo er hinsehen sollte, auf das blasse Gesicht seines Vaters oder die Zeitung. Er entschied sich, die Bemerkung erst einmal nicht zu beachten und ein Blick in das Blatt zu werfen. Schließlich blieben seine Augen an dem Wort ›Beschlagnahmung‹ hängen.
»Meinst du das?«, fragte Samuel und hielt seinem Vater die Zeitung vor das Gesicht, während er mit seinem Zeigefinger auf das Wort deutete.
Jakob Weizmann nickte nur. »So wird es von nun an weitergehen. Wart’s nur ab! Was ihnen nicht in den Kram passt, wird beschlagnahmt, verboten, wenn nicht sogar verbrannt. Wer kann das schon sagen.«
Samuel wusste nicht, was er sagen sollte. Wie sollte er seinen Vater trösten, wo er selbst erlebt hatte, wer jetzt das Sagen hatte und wozu diese Braunhemden imstande waren. Er war froh, als er Katharinas Stimme hörte. »Das Essen wird kalt!«, rief sie nun schon zum dritten Mal. Was auch kommen würde, Essen mussten sie immer.
12
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Herr Weizmann lag auf dem Sofa, als ich gegangen bin. Er ist heute N a chmittag einfach umgekippt, als er die Zeitung gelesen hat. Zum Glück war Samuel nicht in Münster. Er hat mir geholfen, seinen Vater nach oben zu tragen. Er war ganz blass und hat kaum Luft bekommen. Wir mussten den Doktor holen. Samuel wollte nicht zu ihm gehen. Da musste ich hinfahren.
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Zuerst dachte ich, der Doktor würde nicht mitkommen. »Was willst du noch bei dem Juden?«, hat er gesagt und »Es lohnt sich doch gar nicht mehr, so einem zu helfen.« Mir wird schon wieder schlecht, wenn ich an seine Worte denke. Aber dann ist er doch gekommen. »Wegen unserer alten Freundschaft«, hat er gesagt und mir dabei in die Wange gekniffen.
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Als er dann bei Herrn Weizmann war, hat er ihm gesagt: »Sie dürfen si c h nicht aufregen! Ihr Herz, Sie wissen doch, dass es keine Aufregungen verträgt!« Das sagt er so leicht! Wer ist denn schuld daran, dass Herr Weizmann sich aufgeregt hat. Diese Nationalsozialisten. Pah, wie sich das schon anhört. Und der Doktor gehört zu ihnen.
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Ich habe mir angesehen, was Herr Weizmann gelesen hat, als er umgefallen ist. ›Bran d anschlag auf jüdisches Kaufhaus‹, lautete die Überschrift. In Reken haben sie das Kaufhaus Lebenstein angezündet. Herr Levinstein, dem das Kaufhaus gehört, ist ein Freund von Herrn Weizmann. Einmal in der Woche treffen sie sich. Dann kommt Herr Levinstein mit seinem Auto aus Reken. An dem Abend muss ich länger bleiben, damit der Chauffeur etwas zu essen bekommt. Wenn ich lesen würde, dass das Haus meiner Freundin angezündet wurde, würde ich auch umfallen, obwohl mein Herz in Ordnung ist.
Karina und Martin saßen vor dem Kamin und starrten in die Flammen.
Jenny war wieder abgereist, nachdem Karina von der Beerdigung zurückgekehrt war. Der fehlende Komfort in dem alten Haus, in dem Karinas Großeltern und auch ihre Großtante viele Jahre keine Neuerungen vorgenommen hatten, wirkte auf Jenny deprimierend. »Es tut mir leid, aber ich halte diese dunklen Wände, Möbel und Teppiche nicht mehr aus«, hatte sie sich bei Karina entschuldigt. Diese konnte das sogar verstehen. Wenn für sie nicht viele Gegenstände mit Erinnerungen an ihre Großeltern verbunden wären und manches seit der Kindheit ihres Vaters nicht geändert worden war, hätte sie sich auch unwohl gefühlt.
»Und du hast ja jetzt diesen schnieken Pfarrer, der dir hilft.« Karina hatte Jenny angemerkt, dass sie enttäuscht und erleichtert war, dass Martin Kleine sich mehr für Karina zu interessieren schien.
Mit diesem schnieken Pfarrer saß Karina nun am Kamin und ging die Gespräche bei dem Kaffeetrinken nach der Beerdigung durch.
»Hat Frau Oenning Ihnen etwas über Ihre Tante erzählt?« Martin Kleine tastete, ohne hinzusehen, nach der Bierflasche, die neben ihm auf dem Boden stand. Er goss den Rest aus der Flasche in das Glas, ohne Karina aus den Augen zu lassen.
»Sie ist mit meiner Tante in die Schule gegangen«, erzählte sie. »Komisch, dass früher alle Schüler in eine Klasse gingen. Heute versucht man mühevoll gegen viele Widerstände, genau das wieder einzuführen.«
»Überall wird das auch nicht so gewesen sein«, warf Martin Kleine ein und nahm einen Schluck.
Karina grinste, als sie den weißen Schaumschnurrbart sah, der sich auf seiner Oberlippe gebildet hatte. Einen solchen Bart hatte ihr Großvater oft gehabt. Ihre Eltern tranken nur Wein, wie das echte Schwaben
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