Brandbücher - Kriminalroman
er etwas erledigen musste. »Eine kurze Freigabe in der Redaktion, dann bin ich wieder da.«
Karina trank ihren Kaffee und aß drei der leckeren Pralinen, die pro Stück sicher so viel kosteten wie die Schokolade, die sie sich sonst leistete. Sie staunte, wie sich die Puzzleteile so nach und nach zu Bildern zusammenfügten.
»Da bin ich wieder!« Jo Tengelkamp riss sie aus ihren Gedanken. »Darf ich Sie durch den Betrieb führen?«, fragte er.
Karina war verwirrt, als Ingenieurin konnte sie dem Angebot, eine Druckerei von innen zu sehen, jedoch nicht widerstehen. Gespannt folgte sie dem Verleger und wunderte sich über die Größe des Unternehmens.
Als sie nach dem Rundgang zurück in den Empfangsbereich kamen, fielen ihr die Fotos auf, die dort aushingen. Jo Tengelkamp bemerkte ihr Interesse. »Ja, manchmal bekommen wir prominenten Besuch«, berichtete er. »Schauen Sie nur hin. Alles, was Rang und Namen hat, war schon hier bei uns in der Redaktion.«
Es waren jedoch nicht die Prominenten, die Karinas Neugier weckten. Es war das Foto einer Männergruppe, die sich um einen Wimpel scharte. Einer von ihnen war Jo Tengelkamp, ein anderer sah dem Stadtarchivar Klaus Westerburg täuschend ähnlich.
Karina zeigte auf das Foto und wollte gerade eine Bemerkung machen, da hörte sie hinter sich das Räuspern eines Mannes. Wie auf ein geheimes Kommando erklärte Jo Tengelkamp die Führung abrupt für beendet: »Ich muss wieder an die Arbeit«, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. »Der nächste Redaktionsschluss kommt bestimmt.«
Ehe Karina antworten konnte, stand sie allein vor den Bildern, während Jo Tengelkamp mit einem Mann hinter der schalldichten Bürotür verschwand. Die Frau hinter der Empfangstheke schien in ein langes Telefonat vertieft, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als das Gebäude zu verlassen.
Fast hätte sie beim Ausparken den Porsche gerammt. Wieso steht der jetzt hinter meinem Wagen?, fragte sie sich. Doch das schien ihr nicht so wichtig wie die Frage, was Jo Tengelkamp und Klaus Westerburg miteinander zu tun hatten. Und wer mit seinem Räuspern den Verleger zum Abbruch der Führung gedrängt hatte.
*
Samuel stand an der Tür und wartete. Das Hausmädchen von Doktor Schulze-Möllering hatte ihn mit den Worten eingelassen: »Die Herrschaften speisen gerade.« Er nahm sich vor, Katharina zu fragen, ob sie auch so geschwollen reden musste, als sie bei dem Arzt gearbeitet hatte.
»Setz dich doch«, sagte die Frau des Arztes, die an einem Kopfende des Tisches saß, und zeigte auf den Stuhl vor dem Fenster. Doktor Schulze-Möllering, Bruno und seine Geschwister nahmen keine Notiz von ihm, als wäre er überhaupt nicht vorhanden.
Hätte Katharina nicht so gedrängt, wäre er niemals hierher gegangen. Aber seinem Vater ging es sehr schlecht, seit er aus dem Gefängnis zurückgekommen war. Die SA-Leute dort hatten ihn misshandelt. Er sprach nicht darüber und wurde täglich blasser. Sie versuchten ihn jeden Morgen zu bewegen, runter in den Laden zu gehen, der immer sein Ein und Alles gewesen war.
Als er am Morgen das Scheppern der Scheibe gehört hatte, war er zusammengebrochen. Zum Glück war Katharina kurz darauf gekommen, sie hatten ihn auf das Sofa gelegt und das Loch in dem Schaufenster mit einer Zeitung zugeklebt. Katharinas Freund Gerhard hatte ihnen heimlich ein wenig Kleister gebracht, sonst hätten sie es nicht geschafft.
»Das war ein Spaß!« Brunos laute Stimme riss Samuel aus den Gedanken. Er war froh, dass sein früherer Freund mit dem Rücken zu ihm saß und er sein Gesicht nicht sehen konnte. »Wie der Professor aus dem Hörsaal geflitzt ist, als wir mit den Thesen reinkamen.«
Samuel sah fassungslos zu Bruno. Wie konnte er das behaupten? Er war selbst dabei gewesen, als der Professor geantwortet hatte. Er war keineswegs sofort aus dem Saal gelaufen.
Samuel öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Das brachte nichts, er musste sich zusammenreißen, seinem Vater zuliebe. Der brauchte dringend einen Arzt. Dass Doktor Schulze-Möllering ihn hier sitzen ließ, war Zeichen genug, welche Bedeutung er einem Juden beimaß. Höflichkeit musste man ihm gegenüber nicht walten lassen.
»Kaum haben wir die ersten Thesen vorgelesen, da rannte das jüdische Pack schon aus dem Saal«, fuhr Bruno so laut fort, dass es selbst seiner Mutter zu viel war und sie ihn zurechtwies: »Bruno, wir haben einen Gast!«
Bruno lachte und drehte sich zu Samuel um. »Gast«,
Weitere Kostenlose Bücher