Brandbücher - Kriminalroman
sagte er höhnisch. »Eine Laus sitzt da. Die feige Laus war doch die erste, die aus dem Hörsaal gelaufen ist.« Er fixierte Samuel und kniff die Augen zusammen.
Samuel schwieg weiter, er versuchte, seinen Blick nach innen zu richten, auf den Vater, den er retten musste. Er knetete seine Finger, damit niemand sah, wie sehr sie zitterten.
Als Samuel nicht antwortete, wandte sich Bruno wieder seinem Essen zu. »Möchtest du auch ein Stück Schweinebraten?«, fragte er plötzlich mit einem feisten Grinsen.
»Bruno!«, zischte seine Mutter.
Doch der ließ sich von ihr nichts sagen. »Ich verstehe gar nicht, wieso ihr Juden kein Schweinefleisch esst, so ein Braten ist doch lecker. Hast du ihn überhaupt schon einmal probiert!« Bruno stand auf und stieß den Stuhl nach hinten. Das Poltern klang in Samuels Ohren wie ein Schuss, am liebsten wäre er sofort gegangen. Doch Bruno versperrte den Weg zur Tür.
Mit seinem Teller, auf dem ein klein geschnittenes Bratenstück lag, und seiner Gabel in der Hand, kam Bruno immer näher. Er wirkte riesig in seiner braunen Uniform mit der Armbinde, wie er da vor Samuel stand, der sich auf seinem Stuhl kleinmachte und sich dafür hasste, dass er schon wieder vor diesem Wichtigtuer kuschte.
»Hier, iss!«, sagte Bruno in einem Ton, der selbst seine Mutter zum Schweigen brachte.
Samuel kam es vor, als sänke die Temperatur im Wohnzimmer in Millisekunden auf Minusgrade. Bruno hielt ihm das Stück Braten vor den Mund. »Maul auf!«
Samuel wusste nicht, was er tun sollte, er dachte an seinen Vater, aber er wusste auch, dass er auf keinen Fall Schweinefleisch essen durfte.
»Bruno, setz dich sofort hin!« Die Stimme des Doktors dröhnte durch den Raum. Samuel sah, wie Bruno zusammenzuckte und zögerte, ehe er ihm die Bratenstücke ins Gesicht warf, wortlos seinen Stuhl aufhob und sich an den Tisch setzte.
»Hast du das bei dir, was ihr da vorgelesen habt?« Brunos zehnjährige Schwester Wilhelmine unterbrach mit ihrer Frage die beklemmende Stille, die in dem Raum hing. Keiner wagte von seinem Teller aufzusehen, schon gar nicht in Samuels Richtung, der ein Taschentuch aus der Tasche zog und versuchte, sein Gesicht von den Soßenresten zu reinigen.
»Ja, klar!«, antwortete Bruno seiner Schwester.
»Darf ich das abschreiben?«, bat Wilhelmine. »Ich möchte das im BDM vorlesen.«
Bruno nickte. Samuel bemerkte, wie sich die Stimmung entspannte. Er hörte, wie der Doktor mit einem kurzen Tischgebet die Tafel aufhob. »Was willst du hier?«, herrschte er anschließend Samuel an.
Samuel schluckte. »Mein Vater ist krank. Bitte, können Sie nach ihm sehen?« Er zog das Paket hervor, das er unter den Stuhl geschoben hatte. »Ich habe Ihnen auch die neusten Bücher mitgebracht; sie sind gerade erst erschienen.«
Der Doktor murrte, riss dann das Zeitungspapier ab, um sich die Bücher anzuschauen. »Hans Baumann. ›Macht keinen Lärm‹, kenne ich nicht«, sagte er. »Werner Beumelburg. ›Deutschland erwacht. Deutsches Wort, deutscher Geist, deutsche Tat‹, das hört sich schon besser an.« Er schob das Buch beiseite und las weiter. »Hanns Johst, das ist doch der mit dem Theaterstück, das er für Hitler geschrieben hat. ›Mutter ohne Begegnung‹. Na, der Titel klingt nicht so doll, aber ich nehme es mal. Ach, Will Vesper. ›Ein Tag aus dem Leben Goethes‹, ja, das interessiert mich.« Der Doktor legte die Bücher beiseite und sah Samuel an. »Du hast Glück, dass Katharina bei euch ist«, sagte er. Ohne darauf zu achten, ob Samuel ihm folgte, zog er seinen Mantel an, griff den Arztkoffer und verließ das Haus.
17
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Jetzt will Gerhard nicht mehr an den Bodensee, sondern nach P a ris. »Da sind die Maler und Künstler«, sagt er. Ich habe gelacht, als er das gesagt hat. Da ist er richtig böse geworden. »Du glaubst wohl nicht, dass ich ein Künstler bin«, hat er mich angefaucht. Dabei habe ich das gar nicht gedacht, gut, ein bisschen vielleicht. Ich kenne doch die Bilder von echten Künstlern aus den Büchern bei Herrn Weizmann. Sie sehen ganz anders aus als die Tiere, die Gerhard malt.
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Ich ha b e Angst, wenn er in eine so große Stadt geht. In Paris versteht er doch keinen. Und was man alles hört über Paris und die Frauen. »Hitler ist auch am Bodensee«, hat Gerhard geantwortet, und da ist mir zum ersten Mal klar geworden, dass Hitler überall ist. Überall in Deutschland. Keiner kann ihn verjagen. Deswegen liege ich seit Stunden wach. Ich bin froh, dass
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