Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
gefundenen Beweise.
Allem voran das vom gerichtsmedizinischen Gutachten zweifelsfrei als Tatwaffe identifizierte Messer. Dreißig Zentimeter lang und eindeutig aus dem Besitz des Angeklagten, der sein Werkzeug mit dem Großbuchstaben H zu kennzeichnen pflegte.
Ein leerer Benzinkanister, auf dem keine anderen Fingerspuren als die des Angeklagten gesichert werden
konnten. Arbeitshandschuhe mit Antragungen von Blut, das zweifelsfrei von Manuela F. stammte. Genau wie an der Arbeitsjacke, in deren Tasche sich der Haustürschlüssel des Opfers fand.
Das war, im Großen und Ganzen jedenfalls, die erdrückende Beweislage.
Pieplow schob die Papiere beiseite und massierte sich die Stirn, hinter der Kopfschmerzen aufzogen. Er sah aus dem Fenster, vor dem der Sturm mit unverminderter Wucht tobte. Die Mühle am Deich ließ sich im dicht jagenden Schnee nur als grauer Schemen ausmachen.
Was hatte der Professor gesagt?
Ein extrem kontrollierter Täter. Äußerst planvoll.
Und gleichzeitig so dämlich, einen Haufen Beweisstücke in den eigenen Schuppen zu schleppen?
Klang unwahrscheinlich.
Andererseits … Die Zeit war knapp gewesen. Eine Stunde, anderthalb, wenn es hoch kam. Genug, um am Tatort alle Spuren zu verwischen. Zu wenig, um die Beweise auch noch zu vernichten.
Und wenn, wofür außer Thiels Unschuldsbehauptung eigentlich nichts sprach, ein anderer diesen Mord begangen hatte? Dann war der Täter allerdings äußerst planvoll vorgegangen. Er musste ortskundig sein. Und intelligent genug, Thiel eine lückenlose Indizienkette um den Hals zu hängen.
Pieplow seufzte. Über das Kopfschmerz verursachende
Bohren seiner Gedanken und wegen des kalt gewordenen Kaffees.
Glücklich ist man nur, solange der Kaffee heiß ist. Angeblich ein spanisches Sprichwort. Es fiel ihm hin und wieder ein, wenn er sich Kaffee kochte. Wo er es gelesen hatte, wusste er nicht mehr.
Er setzte sich zurück an den Schreibtisch, pustete ein paar Kringel in die hellbraune Oberfläche und sah über den Becherrand auf die dicht beschriebenen Blätter des Urteils. Er hatte es mehrmals gelesen, sich Notizen gemacht, einen Überblick verschafft. Nach und nach hatten sich aus den Einzelheiten Bilder zusammengesetzt. Ein Film, der umso weniger stockte und zuckte, je öfter er ihn abspulte.
Thiel und Manuela hatten das Festzelt gemeinsam verlassen. Kurz nach eins, wie er selbst und die Zeugen Baring, Möhle und Jensen übereinstimmend aussagten. Er habe, so Thiel, Manuela bis zu ihrem Haus begleitet, sei nur kurz mit ihr hineingegangen, habe sich dann aber von ihr verabschiedet, weil sie allein sein wollte. Es sei ihm wenig reizvoll erschienen, zum Festplatz zurückzukehren. Er sei nach Hause und dort sofort ins Bett gegangen.
Das war eine Version der Abläufe, die im Licht zweier weiterer Zeugenaussagen fraglich erschien. Der Arzt Dr. Schwarzkopf, unterwegs zu einem Patienten, hatte etwa eine Stunde später eine dunkel gekleidete, männliche Person für einige Augenblicke mit dem Licht seiner Autoscheinwerfer erfasst. Ob es sich dabei
um den Angeklagten handelte, konnte Dr. Schwarzkopf jedoch nicht mit Sicherheit sagen. Wohingegen der Zeuge Rohrbach sicher war, auf seinem eigenen Heimweg den Angeklagten gesehen zu haben. Thiel sei schnell und sich mehrfach umblickend vom Haus des Opfers in Richtung Gutshof gelaufen.
Kurz darauf, um 03:32 Uhr, war Feueralarm ausgelöst worden. Danach war die Lage unübersichtlich geworden. Das ganze Dorf war auf den Beinen gewesen. Hatte die Löscharbeiten aus nächster Nähe verfolgt und voller Entsetzen zugesehen, wie Manuela F. leblos aus ihrem Haus geborgen wurde.
Wer zuerst nach Thiel gefragt hatte, wusste später niemand zu sagen. Auch nicht, wer auf die Idee gekommen war, nach ihm zu suchen.
Fest stand jedoch, dass Oberkommissar Ehmke rechtzeitig hatte eingreifen und dafür sorgen können, dass niemand das Recht in die eigene Hand nahm. Und zudem, was in der allgemeinen Aufregung leicht hätte geschehen können, wichtige Sachbeweise zerstörte.
Die Einlassung der Verteidigung, die Ermittlungen hätten sich schon zu diesem Zeitpunkt und damit viel zu früh auf den Angeklagten als einzigen Tatverdächtigen konzentriert, wurde ebenso zurückgewiesen wie das Argument, es habe durchaus andere gegeben, gegen die ein Tatverdacht hätte bestehen können. Die hierzu namentlich Genannten, der Bauleiter Ole Jensen und der Bauhelfer Arek Jablonsky, hatten Alibis, an denen sich im weiteren Verlauf der
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