Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
Ostwald öfter als unbedingt notwendig zu begegnen, und weil ich, wie schon gesagt, die Idee mehr als beknackt finde.«
»Anscheinend haben Sie mich nicht richtig verstanden, Thiel. Es tut nichts zur Sache, was Sie von dem Gespräch halten. Sie werden es führen, wenn ich mir weiter Gedanken über Ihre angebliche Unschuld machen soll.« Pieplow, dem harsche Töne eigentlich nicht lagen, stellte zufrieden fest, dass er sehr wohl energisch wirken konnte.
»Sie meinen das tatsächlich ernst, oder?« Thiels Blick forschte in Pieplows Gesicht vergeblich nach Spuren von Humor.
»Allerdings.«
»Und danach? Was passiert, wenn ich mit Ostwald geredet habe?«
»Das wird sich zeigen, wenn wir wissen, was dabei herausgekommen ist«, sagte Pieplow und klang jetzt tatsächlich ein wenig vergnügt.
»Auf so eine Schnapsidee kannst auch nur du kommen«, sagte Kästner. »Nicht genug damit, dass sich der feine Herr Thiel in deiner Wohnung einnisten und Unruhe stiften darf, jetzt machst du dich auch noch mit dieser absurden Geschichte zum Affen. Wenn die Leute das spitzkriegen, kannst du hier einpacken.«
»Du brauchst es ihnen ja nicht auf die Nase zu binden.«
Sie saßen im Dienstzimmer, jeder an seinem Schreibtisch, und waren gereizt. Kästner, weil er den Frieden auf der Insel und das Ansehen ihrer Polizei in Gefahr sah, Pieplow, weil es ihm auf die Nerven ging, zum hundertsten Mal wie ein verschrobener Spinner behandelt zu werden.
»Das muss ich gar nicht. Sie werden sich ihre ganz eigenen Gedanken über euren kleinen Ausflug machen.« Kästner stand auf und zerrte wütend an seiner Uniformjacke, deren Ärmel sich in der Lehne des Besucherstuhls verhakt hatte. »Lass die Finger davon, Pieplow. Du machst dich nur lächerlich.« Kästner schloss den letzten Knopf seiner Uniformjacke und war schon an der Tür, als er sich noch einmal umdrehte. »Was sagt eigentlich Marie dazu?«
»Warum ausgerechnet du? Kann er sich nicht jemand anderen suchen? Jemanden, dessen Leben davon weniger durcheinandergebracht wird als unseres?« Marie wirkte noch ernster und abweisender als in den vergangenen Tagen.
»Es wird sich niemand finden, der den Fall wieder aufrollt, solange es keine stichhaltigen Gründe dafür gibt.«
»Kein Polizist, meinst du. Aber ein Privatdetektiv zum Beispiel. Der wird dafür bezahlt, solche Gründe zu suchen, ganz gleich, ob es sie gibt oder nicht. Und Geld hat dieser Thiel doch genug, nach allem, was man so hört.«
Sie hat Recht, dachte Pieplow und wartete auf die Frage, um die es eigentlich zwischen ihnen ging.
»Ist es das wert, Daniel? Dass die Leute über uns herziehen, dass manche nicht mehr als notwendig mit uns reden, dass Leonie schon jetzt nicht mehr weiß, was all die Anspielungen bedeuten, die sie überall hört?«
»Nein, das ist es nicht wert, Marie.« Pieplow legte eine Hand auf ihren Arm und war froh, dass sie ihn nicht zurückzog. »Aber ich will mir auch nicht vorschreiben lassen, was ich zu tun oder nicht zu tun habe. Vielleicht beruhigen sich die Gemüter, wenn ich jetzt aufhöre, aber früher oder später werde ich mir übel nehmen, dass ich klein beigegeben habe.«
»Und mir wahrscheinlich auch.« Marie hob den Kopf und sah ihn an.
Sie wusste, dass es so kommen würde. So gut kannte sie ihn.
Zu Recht nannten die Alten den kräftigen Wind aus Nordost einen Himmelsbesen. Er hatte auch die letzten dünnen Wolkenfetzen davongefegt, im Südosten stand eine blassgelbe Februarsonne und ließ den Hauch von Pulverschnee glitzern, der in der vergangenen Nacht gefallen war.
Pieplow und Thiel standen am Anleger so dicht nebeneinander, dass sie einen einzigen tiefschwarzen Schatten warfen. Pieplow teilte ihn, indem er einen Schritt zur Seite trat. Sie sprachen nicht miteinander und nicht mit den anderen Fahrgästen, die darauf warteten, dass die Container für Supermarkt und Post, ein Kleinlaster mit Baumaterial und zwei mit Gepäck vollbeladene Handwagen von Bord der Vitte gerollt waren.
Wie immer stand Werner Dröge am Schott, verabschiedete und begrüßte Ankommende oder Abreisende und entwertete nebenbei sehr routiniert Fahrscheine.
Thiels Gruß erwiderte er nicht, und auch Pieplow musste sich mit einem knappen Kopfnicken begnügen.
»Bring ihn bloß nicht wieder mit«, knurrte Dröge und wandte sich dem nächsten Fahrgast zu.
Noch nie hatte Pieplow sich während einer Überfahrt so unwohl gefühlt. Daran änderte weder ein Becher mit frischem Kaffee etwas noch die
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