Brandeis: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
nicht.«
»Wie Sie wollen.« Pieplow musste sich eingestehen, dass er pikiert war.
»Gib wenigstens zu, dass es sich, vorsichtig ausgedrückt, sonderbar anhört.« Vergeblich forschte Marie in seinem Gesicht nach Zeichen des Zweifels. Sie hatte die Beine aufs Sofa gezogen und saß so nah neben ihm wie seit Langem nicht mehr.
»Ich gebe zu, was du willst, wenn du noch etwas weiter an mich heranrückst.« Pieplow lehnte sich entspannt zurück. Er war müde, aber zufrieden und hätte nichts dagegen gehabt, zum Schluss des Tages Marie noch eine Weile im Arm zu halten.
»Wie wär’s, wenn du meine Meinung etwas ernster nehmen würdest?« Sie klang ärgerlich.
»Ich nehme dich doch ernst«, beschwichtigte er. »Und du hast Recht, es hört sich so sonderbar an, dass ich mit niemandem außer dir darüber reden möchte.«
»Kästner wirst du es erzählen müssen.«
»Wohl oder übel. Er ist jetzt schon davon überzeugt, dass ich nicht ganz zurechnungsfähig bin.« Es gefiel ihm, dass Marie lächelte.
»Wundert es dich?«
»Höchstens ein ganz klein wenig.«
»Jetzt hole ich uns noch ein Bier, und dann möchte ich wissen, wie es weitergehen soll.«
Als sie zurückkam, setzte sie sich fast so nah neben ihn, wie er es sich vorgestellt hatte.
»Ostwald und ich wollen übermorgen nach Groß Zicker. Dann ist Samstag, und die meisten Leute müssen nicht arbeiten. Ich gehe morgen noch einmal alle Informationen durch, die ich habe, und dann versuchen wir, so viel wie möglich davon zu überprüfen.«
»Wie stellt Ihr euch das vor?«, unterbrach ihn Marie. »Fahrt ihr da hin, klingelt an den Türen und fragt die Leute nach Zeugenaussagen, die sie vor fünfzehn Jahren gemacht haben?«
»Um es genauer zu sagen: Ich frage, und Ostwald hört zu.«
»Es erinnert sich doch kein Mensch nach all der Zeit so genau, dass ihr Dinge herausfinden könnt, die damals verborgen geblieben sind.«
»Wahrscheinlich nicht«, räumte Pieplow ein. »Aber wer gelogen hat, weiß das noch sehr genau. Oder würdest du eine Lüge vergessen, die einen Unschuldigen für fünfzehn Jahre ins Gefängnis gebracht hat?«
»Verstehe«, sagte Marie. »Und wer damals gelogen hat, wird es heute wieder oder immer noch tun müssen. Aber was nützt es, das herauszufinden? Eine Lüge aufzudecken heißt doch noch lange nicht, auch die Wahrheit zu finden.«
»Stimmt«, sagte Pieplow. »Und für beides bräuchten wir Beweise. Für die Lüge ebenso wie für die Wahrheit.«
»Wie soll das gelingen?«, fragte Marie. »Nach so langer Zeit?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Pieplow. Jedenfalls das entsprach zweifelsfrei der Wahrheit.
17
»Hätt ich mir auch nicht träumen lassen, dass ich nochmal freiwillig ein Polizeirevier betrete.« Thiel zog den Besucherstuhl ein wenig von Pieplows Schreibtisch weg und setzte sich. Er sah zu Kästners leerem Platz. »Sie arbeiten wohl nicht viel zusammen?«
»Kommt drauf an«, sagte Pieplow. »Im Normalbetrieb wechseln wir uns mit Tagschicht und Nachtbereitschaft ab.«
»Deswegen hatte ich noch nicht das Vergnügen.«
»Wenn Sie Wert darauf legen, lässt sich das problemlos nachholen.«
»Nee, lassen Sie mal. Sagen Sie mir lieber, was ich hier soll.«
»Die Zeugenliste mit mir durchgehen.«
»Alles, was Sie wissen müssen, steht doch da drin.« Mit einem Nicken deutete Thiel auf die Papiere, die auf dem Tisch lagen.
»Ich will sicher sein, dass ich nichts übersehen habe.« Pieplow ließ sich nicht beirren. Er hatte sich Notizen gemacht, und die würde er Punkt für Punkt durchgehen, ob es Thiel passte oder nicht.
Thiel zog sein Tabakpäckchen aus der Jackentasche und hielt es fragend hoch.
»Sonst kann ich mich nicht konzentrieren.«
Im untersten Schubfach seines Schreibtisches kramte Pieplow nach dem Reklameaschenbecher. Rostocker Pils. Er schob ihn widerwillig in Thiels Reichweite.
»Ich möchte, dass Sie mir den Tattag beschreiben«, sagte er, als Thiels Zigarette brannte.
»Wie jetzt? Den ganzen Tag?«
»Genau. Ich will wissen, womit Sie den Tag verbracht, was Sie getan und gesehen haben. Alles, woran Sie sich erinnern.«
»Wozu soll das denn gut sein?«
»Für meine Vorstellung von den Menschen, mit denen Sie zu tun hatten. Vom Festverlauf, von der Stimmung im Dorf.«
»Vom Wetter vielleicht auch noch?« Thiel konnte sich nicht entscheiden, ob er amüsiert oder genervt sein wollte.
»Schaden kann’s nicht«, erwiderte Pieplow ruhig. »Es vervollständigt auf jeden Fall das Bild.«
»Oh, Mann.«
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