Brandfährte (German Edition)
ließ den Satz unbeendet.
«Was war mit Maikes Wohnzimmer?»
«Es sah chaotisch aus. Überall Kartons und Kisten.»
«Vielleicht war sie gerade dabei, ihre Zimmer umzuräumen?»
Karin Ahlers schüttelte entschieden den Kopf.
«Statt in ihrem Bett im Zimmer zur Straße raus zu schlafen, brachte sie die Nächte im Sessel zu.»
«War es ihr vielleicht zu laut in ihrem Schlafzimmer?»
«Ja, das hat sie zunächst auch behauptet, aber ich hab ihr das nicht geglaubt», antwortete Karin Ahlers. «Sie hat ja auch nicht in der Küche, sondern im Wohnzimmer gefrühstückt und gegessen. Zwischen den Büchern standen ihr Toaster und die Marmeladegläser. Wie bei den Hottentotten!»
Sie seufzte.
«Sie sagten, ‹zunächst› habe sie das behauptet?»
«Ja, nachdem wir uns wieder einmal gestritten hatten, musste natürlich ihr Verehrer als Entschuldigung herhalten», erinnerte sich die Frau gereizt. «Angeblich beobachtete er ihre Küche und das Schlafzimmer von der Straße aus. Das war wirklich die blödeste Ausrede dafür, dass sie einfach keine Lust hatte, Ordnung zu halten.»
Steenhoff sah sie ernst an.
«Ihre Tochter hatte Angst. Furchtbare Angst. Und zu Recht, wie sich zeigte.»
Er erhob sich. Karin Ahlers blieb kraftlos in ihrem Sessel sitzen. Plötzlich tat sie ihm leid.
«Nehmen Sie Kontakt zu Ihrer Schwester auf. Sie sollten jetzt nicht allein bleiben.»
Die Frau nickte schwach.
Deprimiert ging Steenhoff aus dem Haus und ließ hinter sich die Tür ins Schloss fallen. Die Einsamkeit, in der sich Mutter und Tochter befunden hatten, war mit Händen zu greifen. Steenhoff sehnte sich danach, ein paar Schritte an der frischen Luft zu gehen. Aber er wollte auch so schnell wie möglich weg aus dieser Straße. Er setzte sich in sein Auto und suchte nach einem Weg, der ihn an die Weser brachte. Zehn Minuten später fand er die gesuchte Zufahrt. Der dunkle Fluss glitt träge dahin. Steenhoff entdeckte einen Radweg, der die Windungen und Biegungen des Flusses mitzumachen schien, stellte das Auto ab und stieg aus.
Er empfand die frische, kühle Luft wie eine Reinigung. Steenhoff musste an Marie denken. Sie lebte zurzeit buchstäblich am anderen Ende der Welt. Doch im Gegensatz zu Maike und ihrer Mutter waren sie sich nah und vertraut. Trotz allem. Wieder drohten die Bilder von der Jugendfarm in ihm hochzusteigen. Doch diesmal gelang es ihm, sie zu vertreiben.
Stattdessen fiel ihm plötzlich Else ein. Sie hatte so ruhig und zufrieden in ihrem Bett ausgesehen. Die meisten Toten, die er bislang in seinem Leben gesehen hatte, waren anders gestorben. Seine Ziehmutter war einfach eingeschlafen und morgens nicht mehr aufgewacht. Wenn jemand einen friedlichen Tod verdient hatte, dann sie. Während Ira hinter ihm stand, hatte er die kalte, wächserne Hand der Toten gehalten. Eine lange, dünne Haarsträhne lag über ihrem Gesicht. Zärtlich streichelte er ihre Wange. Irgendwann registrierte er, dass Ira aus dem Schlafzimmer gegangen war. Es gab nichts, was er vor seiner Frau verbergen musste. Aber dennoch war er froh, diesen Moment allein mit Else verbringen zu können. Steenhoff schämte sich nicht seiner Tränen und sagte Else all die Dinge, die er ihr zu Lebzeiten nie gesagt hatte.
Als er schließlich das Zimmer verließ, stand Ira von ihrem Stuhl in der kleinen Küche auf und umarmte ihn stumm. Lange standen sie so da. Als sie sich voneinander gelöst hatten, sagte Ira nur: «Wir müssen Marie benachrichtigen. Sie hat ihre Oma verloren.»
Irgendwo in der Ferne erklang ein Lied. Eine Melodie, die Steenhoff kannte. Er brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es sein Handy war, das in der Innentasche seiner Jacke klingelte. Petersen war dran. Ihre Stimme klang aufgewühlt.
«Ich hoffe, du bist noch nicht zu Hause?»
«Nein. Ich sitze auf einer Bank an der Weser in Nienburg. Was gibt es, Navideh?»
«Unser Täter konnte Maike Ahlers gar nicht nah genug kommen.» Sie machte eine kleine Pause. «Ich habe gerade den Hausbesitzer ans Telefon bekommen.»
«Und?»
«Der Kerl wollte in die leerstehende Wohnung direkt über Maike einziehen.»
12
Steenhoff hatte schlecht geschlafen. Petersens Anruf war ihm noch lange durch den Kopf gegangen.
In der ersten Besprechungsrunde dieses Tages sollte Petersen ihre Ergebnisse vortragen. Steenhoff spürte bei seinen Kollegen dieselbe angespannte Konzentriertheit, die ihn am Abend auf der Bank an der Weser erfasst hatte.
Petersen blätterte kurz in ihren Notizen und
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