Brandfährte (German Edition)
zu viel für Willi.
Er griff nach Elses Käsekuchen, riss die Alufolie herunter und warf den Kuchen mit Schwung in Geldmanns Mülleimer, der am Haus stand. Dann schraubte Willi seine Flasche Korn auf und goss die hochprozentige Flüssigkeit bis auf den letzten Tropfen in den Eimer. Geräuschvoll ließ er den Deckel zufallen.
Mit einer tiefen Verbeugung wandte er sich anschließend direkt an Helene Geldmann: «Danke für Ihre Einladung. Es war wirklich sehr gemütlich bei Ihnen. Aber jetzt müssen wir leider gehen.» Dann legte er den Arm um seine Frau und verkündete hoheitsvoll: «Komm, Else, wir fahren.»
Das Verhältnis zwischen den beiden ungleichen Paaren blieb all die Jahre denkbar schlecht. Schließlich gehörte die gegenseitige tiefe Abneigung und Verachtung für die jeweils andere Seite zum Leben. Man grüßte sich nicht, wenn man sich zufällig auf der Straße über den Weg lief, und wenn sich ein Paar im Garten aufhielt, blieb das andere mürrisch im Haus. Ein zwei Meter hoher Sichtschutz aus dem Baumarkt teilte den Garten in zwei feindliche Lager.
Steenhoff musste Geldmanns zugutehalten, dass sie seinen Lederfußball immer wortlos zurückwarfen, wenn er beim Spielen mal über den Zaun flog. Natürlich fiel der schwere Ball dabei manchmal in Elses Staudenbeete, was sie sofort als bösartigen Angriff der Nachbarn wertete.
Dass so manche umgeknickte Tulpe oder Dahlie in ihrem Garten in Wirklichkeit auf das Konto ihres ewig kickenden Neffen ging, zog Else nie in Betracht. Die beiden Haushälften verband eine dünne Mauer aus Ziegelsteinen und ein intensiv gepflegter Hass.
Als Else nach dem Tod ihres Mannes ohne Kommentar auszog, hinterließ sie bei Geldmanns ein Vakuum.
Doch zum Glück zog bald Martina Benke ein, Elses Mieterin. Horst Geldmann fuhr schon lange nicht mehr seinen alten Käfer, sondern einen Ford. Aber sein Auto war wie früher stets auf Hochglanz poliert und sah immer so aus, als sei es gerade frisch vom Band gerollt.
Während er wie jeden Sonnabend an seinem Auto herumputzte, beobachtete er aus den Augenwinkeln seine neue Nachbarin Martina Benke. Sie schien den Vorgarten neu anlegen zu wollen und hatte einen schweren Spaten in der Hand.
Martina Benke war Anfang 40 . Sie hatte brünette, lange Haare, die ihr fast bis auf den wohlgeformten Po fielen. Geldmann stellte sich vor, dass sie ihre Haare nach jeder Wäsche auf Lockenwickler drehte, da ihr die einzelnen Strähnen in Korkenzieherlöckchen auf die Schulter fielen. Gegen seinen Willen fand Geldmann seine neue Nachbarin ausgesprochen hübsch.
Als Martina Benke einmal kurz aufsah, trafen sich ihre Blicke. Die Frau nickte kurz und vertiefte sich wieder in ihre Arbeit. Horst Geldmann sah, dass sie die rechteckigen Gehwegplatten aus Zement Stück für Stück mit der Schaufel anhob und sie mühevoll an die Hauswand lehnte. Anschließend nahm sie die Rosenstöcke aus der Erde und grub den Boden um.
Am späteren Vormittag brachten Mitarbeiter einer Baustofffirma eine Ladung abgerundeter handtellergroßer Natursteine, die Martina Benke in einem sanften Bogen provisorisch in einer zwanzig Zentimeter tiefen Kuhle aneinanderlegte. Dann ging sie ins Haus.
Am nächsten Tag regnete es, und Horst Geldmann hielt vergeblich nach Martina Benke Ausschau. Auch in der darauffolgenden Woche sah der Vorgarten unverändert wüst aus. Morgens verließ die alleinstehende Frau immer um zwanzig nach sieben das Haus und kehrte am späten Nachmittag oder Abend wieder zurück. Je nach Wetterlage balancierte sie geschickt über die provisorisch verlegten Steine, um zu ihrem Hauseingang zu gelangen, oder benutzte einen kleinen Trampelpfad daneben. Der einst liebevoll gepflegte Vorgarten sah trostlos aus. Und das Ehepaar Geldmann schaute jeden Tag darauf. Irgendwann war der übel zugerichtete Vorgarten bei allen Mahlzeiten das bestimmende Gesprächsthema des Paares. Nach fünf Wochen hatte Helene Geldmann ihren Mann so weit, dass er an einem Freitagabend nach über 40 Jahren das erste Mal die Pforte zum Nachbargrundstück öffnete und an der Haustür von Martina Benke klingelte. Er musste nicht lange warten.
Martina Benke riss die Tür auf und sah ihn erstaunt an.
«Guten Abend, Herr Geldmann. Ist etwas passiert?»
Die Frau hatte eine dunkle Hose an, über der sie enggeschnittene Lederstiefel trug. Ihre langen Haare hatte sie hochgesteckt.
Horst Geldmann hatte ihr all seinen Unmut und seinen Ärger vor die Füße kippen wollen, stattdessen starrte er
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