Brandfährte (German Edition)
kam eine drahtige Frau mit asymmetrischem platinblondem Kurzhaarschnitt durch die Drehtür und lächelte ihn freundlich an. Petra Melchers war klein und zierlich, aber sie hatte einen festen Händedruck, und sie überraschte Steenhoff mit einem ungewöhnlichen Vorschlag.
«Es ist doch sicher einer der letzten schönen Tage im Herbst. Was halten Sie davon, wenn wir ein wenig durch die Wallanlagen gehen und Sie mich dabei befragen?»
Steenhoff hatte nichts dagegen. Sie mussten nur eine lärmende Hauptverkehrsstraße überqueren, schon waren sie von wenigen Spaziergängern und Müttern mit Kleinkindern umgeben, die die Enten im Wallgraben fütterten.
«Kennen Sie eine Maike Ahlers?», eröffnete Steenhoff das Gespräch.
«Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen. Eine Frau mit diesem Namen hat sich bei mir nie vorgestellt», antwortete Petra Melchers bedauernd. Steenhoff zeigte ihr zur Sicherheit ein Foto des Opfers, doch wieder schüttelte sie den Kopf. Sie berichtete, dass sie zunächst jede Frau in einem längeren Einzelgespräch befrage, bevor sie sie in die Gruppe mitnahm. «Ich muss genau hinschauen, ob die Frau nicht mit ihrem Problem die Gruppe sprengen könnte. Es gibt auch Betroffene, die sind überhaupt nicht geeignet, ihre Schwierigkeiten in einer größeren Runde anzugehen.» Ihnen bot Petra Melchers ein paar Stunden Coaching sowie Adressen von Anwältinnen und Psychologinnen an.
«Warum kommen die Frauen zu Ihnen?», wollte Steenhoff wissen. Petra Melchers seufzte und vergrub ihre Hände tief in den Jackentaschen.
«Anzeigen, Strafverfolgung, Sühne – das interessiert die Mehrzahl der Frauen gar nicht. Eigentlich wollen alle nur eines.» Sie schaute Steenhoff direkt an. «Sie wünschen sich nur, dass es endlich, endlich aufhört. Aber da muss ich die Frauen enttäuschen. Ein Stalker hört nicht auf. Das kann Jahre oder Jahrzehnte dauern. So lange, bis das Opfer ausgelaugt und zerstört ist. Man muss gegen den Stalker ankämpfen, ihm klare Grenzen setzen, ihn anzeigen und die Termine vor Gericht durchstehen. Dafür brauchen die Opfer Kraft. Und die versuche ich ihnen hier wiederzugeben.» Sie stieß einen kleinen Stein, der vor ihr auf dem Weg lag, ins Wasser. «Denn alles, was das Opfer stärkt, schwächt den Stalker.»
An der Bischofsnadel, einer von Geschäften flankierten Unterführung, die direkt von den Wallanlagen in die Innenstadt führte, setzten sie sich in einem Café an einen freigewordenen Tisch und bestellten zwei Milchkaffee. Ein paar Sonnenstrahlen, die durch die Äste der Bäume hindurchschienen, wärmten Steenhoffs Rücken. Die Frau rührte nachdenklich in ihrer Tasse. Dann nahm sie wieder den Faden auf.
«Es gibt die unterschiedlichsten Stalkertypen: Der häufigste ist der Expartner, der die Trennung nicht überwinden kann und sich mit allen Mitteln an seine Partnerin klammert und sie terrorisiert. Dann gibt es den Fan, der sich unsterblich in einen Star aus Film, Fernsehen oder Sport verliebt hat. Oder den Typus flüchtiger Bekannter. Dabei handelt es sich beispielsweise um einen Nachbarn oder Kollegen, der sich plötzlich eine Beziehung zu seinem ausgewählten Opfer einbildet.»
Sie dachte nach. «Seit einigen Jahren taucht auch der Internetstalker auf. Das sind Leute, die die Möglichkeiten der elektronischen Datenkommunikation rauf und runter beherrschen und ihren Auserwählten damit perfekt ausspionieren und beherrschen können. Und es gibt natürlich den Rachestalker. Das sind Menschen, die überzeugt sind, falsch oder ungerecht behandelt worden zu sein und nach Vergeltung suchen. Häufige Opfer sind Ärzte und Rechtsanwälte.»
Petra Melchers pustete vorsichtig in ihre Tasse und nippte an ihrem Milchkaffee. «Die meisten Opfer sind Frauen. Aber es gibt auch Täterinnen, die Männer stalken oder ihre vermeintlichen Konkurrentinnen. Und ich kenne Männer, die von Männern gestalkt wurden. Böse Sache. Für die interessiert sich bis heute keiner. Wenn die den Mut haben, ihren Verfolger anzuzeigen, unterstellt die Polizei in der Regel einen Streit unter Homosexuellen.»
Steenhoff hörte gespannt zu und machte sich Notizen.
«Die meisten Täter sind meiner Erfahrung nach überdurchschnittlich intelligent und wirken beim ersten Kontakt nett, freundlich und redegewandt. Sie sind sehr eifersüchtig und kontrollbedürftig, übrigens zwei wichtige Warnsignale in der Beziehung. Und sie sind äußerst kreativ. Die Täter geben sich als Polizisten, Behördenvertreter oder
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