Brandfährte (German Edition)
Angehörige aus, um die neue Nummer ihres Opfers herauszufinden. Je mehr Daten und Informationen sie über den anderen Menschen sammeln können, desto mächtiger fühlen sie sich, desto besser können sie ihn beherrschen. Ach, es gibt Typen, das ist unglaublich! Ich habe über meine Arbeit in der Gruppe einen Täter kennengelernt, der glaubte, die Ordnungsgelder, zu dem das Gericht ihn regelmäßig verurteilt hatte, berechtigten ihn dazu, die Frau weiter zu verfolgen.»
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte Steenhoff entschuldigend an. «Jetzt habe ich Ihnen einen Vortrag gehalten, anstatt einfach Ihre Fragen zu beantworten.»
«Nein, erzählen Sie bitte weiter. Ich habe mich mit dem Thema bislang nur oberflächlich beschäftigt», erwiderte Steenhoff.
«Ja, das Phänomen Stalking ist wirklich komplex. Ich bin jetzt schon einige Jahre dabei, aber ich erlebe immer wieder neue Methoden, wie Stalker ihre Opfer systematisch zermürben. Wussten Sie, dass kürzlich eine Studie mehr als 200 Methoden des Terrors aufgelistet hat? Ein Stalker hat beispielsweise regelmäßig die Treppe seiner Exfreundin mit Butter eingeschmiert. Und den Tätern fehlt jegliches Schuldgefühl.»
Petra Melchers sah einem Radfahrer hinterher, der mit hoher Geschwindigkeit in den Fußgängertunnel fuhr. Eine ältere Frau zuckte erschrocken zusammen. Eine laute Männerstimme brüllte dem rücksichtslosen Radfahrer einen Fluch nach.
«Einige wenige Stalker sind nur furchtbar lästig, die Mehrzahl bringt ihre Opfer an den Rand des Wahnsinns, aber eine kleine Gruppe der Stalker ist brandgefährlich. Ich bin keine Frau, die sich versteckt, aber einer Betroffenen habe ich vor einem Jahr geraten, den Namen und die Stadt zu wechseln, ihre Bekannten und Kollegen zurückzulassen und unterzutauchen. Ihr Exmann hätte sie sonst früher oder später umgebracht. In solch einem Fall helfen auch keine Ordnungsstrafen und die sogenannten Gefährderansprachen ihrer Kollegen. Da hilft nur eines: Flucht.»
Sie schwieg. Steenhoff ließ ihre Worte auf sich wirken.
«Wenn das eine Selbsthilfegruppe ist, die Sie leiten, dann sind Sie vermutlich auch ein ehemaliges Stalkingopfer?»
«Ja.»
«Zu welcher Kategorie gehörte Ihr Täter?»
Steenhoff sah, wie sich die Gesichtszüge von Petra Melchers verhärteten.
«Mein Täter gehörte zu dem Typus flüchtiger Bekannter. Wir haben uns auf einem Seminar getroffen und mal einen Kaffee miteinander getrunken. Mehr nicht.»
Sie fuhr ein paarmal mit ihrer Zunge über die Unterlippe. «Aber der Mann wollte partout mehr. Als ich ihm klarmachte, dass ich kein Interesse hatte, fing er an, mir und meiner Tochter zu drohen. Per Mail, per SMS , per Brief. Seine Hasstiraden quollen aus den Geräten in meiner Wohnung. Er brach mehrfach meinen Briefkasten auf, las sich durch meine persönliche Post und die Kontoauszüge, kettete mein Rad mit seinem Schloss an und beschädigte unser Auto. Ständig rief er mich in der Firma an und blockierte mein Diensthandy. Als ich nicht mehr ranging, fand er die Telefonnummer meiner Kollegin heraus und verleumdete mich. Angeblich hätte ich Aids und würde mit Männern ungeschützten Verkehr haben und so weiter. Nach drei Monaten war ich am Ende meiner Kräfte. Ich hatte das Gefühl, er wollte mich zerstören. Beruflich und privat.»
«Aber ich nehme an, Sie haben eine Methode gefunden, ihn abzuhängen.»
«Eines Morgens habe ich ihn angerufen und ihm gesagt, dass ich keine Angst mehr habe. Ich kündigte ihm an, ihn umzubringen, wenn er es noch ein einziges Mal wagen würde, in unser Haus und in unsere Privatsphäre einzudringen. Ich hatte mir eine Schlagwaffe besorgt. Sie lag bereit.»
Bei dem Gedanken an ihren Verfolger zitterte ihre Stimme vor mühsam zurückgehaltener Wut.
«Sie haben geblufft», stellte Steenhoff anerkennend fest.
«Nein, Herr Steenhoff. Das habe ich nicht. Es war mir ernst.» Steenhoff musterte die zierliche Frau. Er spürte ihre Entschlossenheit und den eisernen Willen, sich und ihre Tochter nicht dem Willen eines Wahnsinnigen zu unterwerfen.
«Ich nehme an, er hat Sie danach in Ruhe gelassen.»
«Ja. Erst viel später habe ich erfahren, dass er sich nach drei Monaten wieder ein neues Opfer gesucht hat und die Frau sogar misshandelt hat. Er sitzt zurzeit in Haft.»
«Und jetzt erzählen Sie den Frauen, die zu Ihnen kommen, sie sollten ihren Stalkern höllische Angst einjagen, um sie wieder loszuwerden?», fragte Steenhoff zweifelnd.
«Um
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