Brandfährte (German Edition)
mögliche Antwort an: «Könnte das Opfer noch einen heimlichen Geliebten oder Bekannten gehabt haben?» Der Kommissar schüttelte unbewusst den Kopf. Aber er hörte nur die Stimme, die routinemäßig erwiderte: «Noch wissen wir über das Opfer so wenig, dass wir nichts ausschließen können. Wir müssen zum jetzigen Zeitpunkt in alle Richtungen ermitteln.»
Er hasste diesen Mann. Spätestens nach diesem Interview, das Tausende von Menschen gesehen hatten, stand Maike da wie eine, die sich in fremde Ehen und Betten drängte. Er sah sich den Beitrag erneut an. Er merkte nicht, dass die wenigen Sätze des Kommissars aus einem längeren Interview zusammengeschnitten waren.
Steenhoff hatte noch betont, dass bislang keine eindeutigen Hinweise dafür sprachen, dass Maike Ahlers, wie in manchen Medienberichten angedeutet, eine heimliche Liebschaft geführt habe. Im Schneideraum des Senders war der Satz aber der knappen Sendezeit zum Opfer gefallen. Er jedoch hörte nur, dass sie in alle Richtungen ermittelten, für alle Hypothesen offen waren, was bedeutete, dass sie Maike alles Mögliche zu unterstellen wagten. Auch in den Radiointerviews kam dieser Steenhoff sehr viel häufiger zu Wort als der dynamisch auftretende Staatsanwalt. Aus den Zeitungsbeiträgen wusste er, dass der Vorname des Mannes Frank war. Nachdem er alle Artikel erneut gelesen, alle Beiträge ein weiteres Mal gehört und gesehen hatte, wusste er, dass er diesen Polizeibeamten tief verabscheute. Nicht weil der Mann Mörder jagte, das war schließlich sein Job. Nein, er hasste ihn für die Verdächtigungen und absurden Hypothesen, die er in die Welt setzte und die Maikes Ansehen beschmutzten. Das würde er bereuen. Bitter bereuen. Langsam löste sich seine innere Starre. Er wusste jetzt, was er zu tun hatte. Er ging zu seinem Computer und durchsuchte das Internet nach dem Namen Frank Steenhoff.
Die Anzahl der Treffer überstieg alle seine Erwartungen. 437 Beiträge bot das Internet über diesen ernst und etwas kantig aussehenden Polizeibeamten aus Bremen. Doch es stellte sich schnell heraus, dass es auch noch einen Eishockeyspieler gleichen Namens gab. Er erweiterte den Namen um den Zusatz «Polizei Bremen» und erhielt immerhin noch 12 Treffer. Ein Beitrag des
Weser Kuriers
erwies sich als wahre Fundgrube. Nach dem spektakulären Ende des Serienmörders Hans Bilg hatte die Zeitung einen längeren Bericht über den Kriminalhauptkommissar geschrieben. Darin wurde auch seine Familie kurz erwähnt. Erstaunt las er, dass der Polizeibeamte eine Tochter hatte, die bei dem Drama beinahe ums Leben gekommen wäre. Aus dem Nebensatz, dass sich Steenhoff damals auf seinem ausgebauten Bauernhof vor den Toren Bremens von seinen Verletzungen erholte, schloss er, dass der Polizeibeamte im niedersächsischen Umland wohnte.
Wenige Minuten später wusste er, wo. Denn auch Steenhoffs Frau Ira war in dem Zeitungsartikel kurz erwähnt worden. Die besaß dankenswerterweise eine Homepage, auf der sie Yoga- und Kochkurse für Vegetarier anbot. Er staunte über die Unbekümmertheit des Polizeibeamten, der offenbar niemanden fürchtete. Er wusste, dass die meisten Polizisten grundsätzlich möglichst wenige öffentlich zugängliche Daten hinterließen. Und tatsächlich hatte sich Frank Steenhoff auch nicht ins Telefonbuch eintragen lassen. Doch seine beruflich aktive Frau und der persönlich gehaltene Artikel hatten ihn verraten.
Er riss eine Schublade auf, in der mehrere leere Notizblöcke lagen. Bis vor kurzem hatte er diese täglich mit Beobachtungen und Informationen über Maike gefüllt. Jetzt schrieb er mit schwarzem Filzstift zwei Buchstaben auf das Deckblatt: FS , für Frank Steenhoff. Auf der ersten Seite notierte er die Adresse des Beamten, den Namen seiner Frau und ihre Kursangebote.
Ein verzerrtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Der Polizeibeamte, der so konzentriert in die Kameras sprach, glaubte, einen Mörder zu jagen.
Er pfiff abfällig durch die Zähne und strich mit der rechten Hand über den ledernen Einband. ‹Dieser Frank Steenhoff sitzt einem gewaltigen Irrtum auf›, dachte er zufrieden. Ab heute ist er es, der gejagt wird.
Mit neuem Elan stand er von seinem Schreibtisch auf und schaltete seine Musikanlage an. Er schob eine CD von Bruce Springsteen ein, suchte ein bestimmtes Lied und drückte auf Play. Es war ein langsames, melancholisches Liebeslied. Er stand auf und bewegte sich im Rhythmus der Melodie. Maike hatte dieses Lied oft in
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