Brandfährte (German Edition)
ihrer Wohnung gehört. Er hatte den Klängen gelauscht, wenn er sich wieder mal in ihr Haus geschlichen und eine Etage über ihrer Wohnung im Treppenhaus versteckt gehalten hatte. Er umfasste seine Unterarme und hielt sie von sich ab, als würde er eine Frau beim Tanzen umarmen. Die Sonne, die durch das Küchenfenster in den Flur fiel, warf einen Schatten auf den einsamen Tänzer. Doch er fühlte sich nicht allein. Maike und er waren eins in diesem Moment. Eng umschlungen im Schattentanz.
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Berger und Schneider hatten tatsächlich in kürzester Zeit eine fast wissenschaftliche Zusammenfassung der wichtigsten Theorien zu den unterschiedlichen Stalkingtypen und ihren Opferkonstellationen verfasst.
Steenhoff staunte über das systematische Vorgehen der beiden jungen Kollegen. Jetzt zeigte sich, dass die mehrjährige Ausbildung an der Hochschule entgegen aller Skepsis vieler älterer Beamter auch Vorteile für die Ermittlungsarbeit mit sich brachte. Die jungen Hochschulabgänger besaßen ein theoretisches Wissen in Rechtsfragen und Kriminaltechniken, das seine Kollegen und er sich erst in vielen Dienstjahren erworben hatten. Sie waren in der Regel außerordentlich wendig, engagiert und von schneller Auffassungsgabe. Kein Wunder, wurden doch unter Hunderten von Bewerbern jedes Jahr nur 20 bis 30 Frauen und Männer für den Polizeidienst ausgesucht.
Eine derartige Bestenauslese hatte nach Überzeugung von Steenhoff aber auch Nachteile. Er fragte sich, wer später von den vielen gut ausgebildeten Polizeibeamten noch bereit wäre, die harte und manchmal monotone Arbeit an der Basis zu leisten. Nur ein kleiner Teil der jungen Beamten würde innerhalb der Polizei Karriere machen können. Der Pool der potenziellen Kandidaten für Führungsaufgaben aber würde in einigen Jahren deutlich größer sein als noch in seiner Generation.
Und noch etwas ließ Steenhoff daran zweifeln, ob die Polizei mit ihrer Nachwuchssuche, die sich fast ausschließlich an Noten orientierte, richtiglag. Die meisten Bewerber kamen aus gutbürgerlichen Familien und hatten oft eine behütete Kindheit hinter sich. Das Gesetz der Straße kannten sie nur aus Filmen oder Büchern. Viele wurden im Dienst das erste Mal mit prügelnden Ehemännern, vernachlässigten Kindern, Dreck und Drogen konfrontiert. Ebenso fremd war vielen die raue Wirklichkeit, in der arabische, türkische oder russische Kinder und Jugendliche in der Großstadt aufwuchsen.
Sein langjähriger Kollege Michael Wessel hatte die Skepsis der älteren Beamten einmal auf den Punkt gebracht: «Verbrecher sind gerissen und verschlagen. Wir müssen in der Lage sein, so zu denken wie sie, ohne so zu handeln wie sie. Wer in unserem Beruf nicht durchs Ohr gebrannt ist, bluffen und schauspielern kann, geht unter oder ist bestenfalls nur ein mäßiger Ermittler.»
Steenhoff betrachtete seine beiden jungen Kollegen.
Der unverheiratete Tim Berger mit seinem kurzen Bürstenhaarschnitt und der gebräunten Haut wirkte sportlich und bestimmend. Steenhoff wusste, dass er in jeder freien Minute Rennrad fuhr. Wenn er sich vorbeugte, sah Steenhoff manchmal unter seinem Hemd Teile einer Tätowierung, die vom Schlüsselbein über den gesamten linken Oberarm reichte. Vor einigen Jahren noch hatte es ihn sehr befremdet, wenn er Tätowierungen bei seinen Kollegen entdeckte, doch inzwischen hatte er sie als Markenzeichen einer jüngeren Generation akzeptiert. Gleichwohl war er froh, dass seine Tochter bislang nicht den Wunsch nach einem Drachen oder Schmetterling auf der Haut geäußert hatte.
Jan Schneider war hoch aufgeschossen und hatte weiche, fast feminine Züge. Er stand immer etwas im Schatten von Berger. Aber wenn er sich äußerte, zeigte sich sein heller, analytischer Verstand. Er war vor einem halben Jahr Vater eines kleinen Jungen geworden und hatte die Wände seines Büros mit zahllosen Babyfotos dekoriert.
Berger hatte die Zusammenfassung für alle Mitglieder der Ermittlungsgruppe kopiert und fasste die wichtigsten Thesen kurz zusammen: «Da die Kollegen von der Kriminaltechnik nichts mehr aus dem Computer von Maike Ahlers herausholen konnten, kommen unseres Erachtens von den verschiedenen Tätertypen nur drei in Frage.» Er ging mit großen Schritten zu dem Flipchart und griff sich einen roten Filzstift.
«Der sogenannte Cyberstalker, der Liebeswahnstalker, der Rachestalker.»
«Verrennen wir uns nicht zu sehr in der Theorie?», meldete sich Petersen zu Wort. «Was haben wir denn schon?
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