Brandfährte (German Edition)
Deckmäntelchen des investigativen Journalismus wurde er der Öffentlichkeit wie ein gemeingefährlicher Mörder präsentiert. Ira las den Bericht in der
Zack
immer wieder. Schließlich nahm er ihr die Zeitung aus der Hand und warf sie in den Müll. Aber Ira zog sie wortlos wieder heraus. Dann holte sie mechanisch einen Block und einen Stift aus einer Schublade und sah in den Schränken nach, welche Lebensmittel fehlten.
«Ira, komm setz dich bitte zu mir.»
«Wir haben kaum noch etwas zu essen. Heute ist Donnerstag, da mache ich immer den Großeinkauf», erwiderte Ira tonlos und riss den Kühlschrank auf.
«Ira, lass uns reden. Das ist Schund und Verleumdung, nichts anderes.»
«Magst du heute Abend Bruschetta und einen Salat oder lieber etwas anderes?»
Ihre Stimme brach.
Aufgestützt auf die Arbeitsplatte in der Küche, wurde sie von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt. Steenhoff war sofort bei ihr und hielt sie fest. Die Verzweiflung drückte sich in jeder Faser ihres Körpers aus. Steenhoff spürte, wie seine Frau bebte und sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er musste ihr schnellstens ein Beruhigungsmittel besorgen. In diesem Zustand konnte er Ira keine Minute aus den Augen lassen.
«Wie sollen wir jemals wieder auf die Straße gehen, ohne dass die Leute sich nach uns umdrehen?» Ihr Atem ging stoßweise. «Frank, wir müssen hier weg. Alles aufgeben. Ich kann hier nicht mehr leben.»
«Wir bleiben hier», sagte Steenhoff bestimmt. «Die Wogen werden sich wieder glätten. Das dauert ein paar Tage, und dann ist die erste Aufregung vorbei.»
«Wir leben auf dem Land und nicht in der Großstadt», widersprach Ira mit tränenerstickter Stimme. «Ich traue mich nicht mehr aus dem Haus. Das wird uns Jahre nachhängen. Ach was, für immer!»
Sie richtete sich auf und zeigte mit dem Finger auf eine imaginäre Person. «Da! Da geht doch die arme Frau Steenhoff. Ihr Mann soll ja seine Geliebte erschlagen haben», machte sie die hohen Stimmen von zwei Nachbarinnen nach.
Wieder wurde sie von einem heftigen Weinanfall gepackt. Steenhoff zog sie auf seinen Schoß und wiegte sie sanft.
Endlich schien sie sich wieder etwas zu beruhigen. Er drehte zärtlich ihr Gesicht zu sich, sodass sie seinem Blick nicht ausweichen konnte.
«Es wird sich alles aufklären, Ira. Das verspreche ich dir.»
Dann hob er sie behutsam auf, trug sie zu einem Sessel und hüllte sie in eine Decke ein. Ira schaute erschöpft und mit stumpfem Blick aus dem Fenster.
«Ich bin gleich wieder bei dir», sagte er leise. Steenhoff nahm das Telefon und ging ins Nebenzimmer. Dann wählte er Katrins Nummer. Er hatte Glück. Iras Freundin nahm sofort ab. Sie wirkte erleichtert, etwas von Steenhoff und Ira zu hören. Auch sie hatte den Artikel schon gelesen und war drauf und dran gewesen, einfach zu Ira zu fahren.
Steenhoff konnte nicht einschätzen, was Katrin von ihm hielt. In der Vergangenheit waren sie sich eher aus dem Weg gegangen. Katrin war Steenhoff immer fremd geblieben. In einem Streit mit Ira hatte er sie einmal als feministische Fundamentalistin bezeichnet, woraufhin Ira erst recht zum Angriff übergegangen war. Steenhoff hatte den Eindruck, dass Katrin die Männerwelt als notwendiges Übel ansah. Jetzt, wo ihr Mann Hannes sie verlassen hatte, würde ihr Urteil vermutlich noch härter ausfallen. Von Katrin hatte er keine Unterstützung zu erwarten. Aber sie war Iras engste Vertraute. Und seine Frau brauchte jemanden, an den sie sich außerhalb ihrer Ehe anlehnen konnte.
Er selbst brauchte Zeit und Raum. Er musste den Mann finden, der ihn und seine Familie so gnadenlos vernichten wollte. Auf eigene Faust, denn Frehls und seine Kollegen waren längst überzeugt, dass er in die Sache verwickelt war. Das ließen sie ihn in jedem Gespräch spüren.
Die ganze Nacht lang hatte er gegrübelt, wer ein Motiv haben könnte, ihm den Überfall anzulasten. Und wer die Skrupellosigkeit besaß, brutal auf eine unschuldige Frau einzuschlagen.
Er musste herausfinden, wie seine verdammte DNA an das Briefpapier kommen konnte. Dafür gab es eigentlich nur zwei Erklärungen: Entweder hatte der Täter als Zeuge bei ihm im Büro gesessen, oder der Unbekannte war bei ihnen zu Hause gewesen. Ohne Katrins Unterstützung wagte er jedoch nicht, Ira in dieser Richtung zu befragen. Steenhoff hatte keine Zeit zu verlieren. Nach der Veröffentlichung des Fotos rechnete er jeden Moment mit einem Anruf und damit, erneut von Frehls vernommen zu werden –
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