Brandhei
gehörigen Schreck eingejagt. Auch jetzt machte er ihr wieder Angst. Sie wich einen Schritt zurück und geriet mit dem Rücken gegen Homers
Boxentür. Das Vorhängeschloss drückte ihr in den Rücken; sie ballte die Hände zu Fäusten.
»Sie wollten gerade was tun?«, fragte er.
Als sie das unerwartete Lächeln in seiner Stimme vernahm, schaute sie verdutzt und brachte keinen Ton heraus – wegen ihrer Angst, ihrer Wut und ihrer Enttäuschung, die sich zu einem dicken Kloß in ihrem Hals zusammenballten.
»Amy?«
Warum klang seine Stimme so sanft? Er kam näher, und sie zuckte zurück, aber er schob nur den Hut in den Nacken, während sein Lächeln erstarb. »Zwei Dinge, die du wissen musst«, sagte er leise. »Zunächst einmal: Wenn du weiter jedes Mal zusammenzuckst, wenn dich jemand nur anschaut, könnte man glauben, dass du etwas Unrechtes getan hast.«
»Ich habe nichts Unrechtes getan.«
»Genau das meine ich ja«, sagte er geduldig. »Und zum Zweiten …«
Eine Gardinenpredigt. Darin kannte sie sich aus. Amy blickte auf ihre Schuhe und wartete, bis Tucker seinen Vortrag beendet hatte.
Aber er hielt inne und sah sie nur einen langen Augenblick an. »Ich erwarte nicht, dass du mir glaubst«, sagte er schließlich. »Aber niemand, der hier arbeitet, hat je einer anderen Menschenseele etwas angetan. Weder Callie noch Marge oder Lou. Weder Eddie noch Stone. Und ich auch nicht. Das würde ich nie tun. Sierra, hör auf damit.« Sierra hatte den Kopf aus der Box gesteckt und suchte in Tuckers Taschen. Geistesabwesend rieb er ihr über die Schnauze. »Ich habe dir nichts mitgebracht. Ich hatte nicht damit gerechnet, hierher zu kommen.«
»Wieso sind Sie also dann hergekommen?«, fragte Amy.
»Ich habe das Licht gesehen. Da habe ich mich gefragt, wer wohl hier ist, der im Pferdestall nichts zu suchen hat, und warum.«
»Ich habe vergessen, dass Sie mir gesagt haben, ich soll nicht hier hineingehen.«
»Nein, das hast du nicht.« Jetzt streichelte er Homer unter dem Kinn, der vor Vergnügen wieherte. »Du magst nur keine Vorschriften. Wahrscheinlich musstest du allzu viele befolgen, die keinen Sinn ergaben. Es ist mir ernst mit dem, was ich eben gesagt habe – dass dir hier niemand wehtun wird.«
Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, und senkte demütig den Blick.
Tucker lehnte sich neben die Stalltür und ließ viel Platz zwischen sich und Amy. Irgendetwas knirschte unter seinem Stiefel; er hob den Fuß, um nachzuschauen. »Ah.« Er bückte sich, um einen nicht zerdrückten Zuckerwürfel aufzuheben.
Sierra streckte den Kopf, so weit es ging. Als Amy deren hoffnungsvolles Gesicht sah, stieß sie ein leises Lachen aus. Tucker gab Sierra den Zuckerwürfel, ließ Amy jedoch nicht aus den Augen. »Ein Lachen. Ich glaube nicht, dass ich das schon mal von dir gehört habe.«
Amys Herz, das sich gerade erst wieder beruhigt hatte, schlug wieder schneller. Sie wandte den Blick ab und fragte sich, wann Tucker endlich wieder wegging.
Aber er blieb, und er sagte auch lange Zeit nichts. »Das Leben ist ziemlich einfach hier draußen. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft. Freunde. Wir vertrauen einander.« Amy stieß noch ein Lachen aus, diesmal jedoch ein freudloses. »Wenn Sie wollen, dass ich Ihnen vertraue …«
»Ich würde mich mit einer Freundschaft begnügen.«
Verwirrt schüttelte Amy den Kopf.
»Ja, als ich hierher kam, habe ich mich auch so gefühlt. Ich war nur eine Hand voll Scheiße und angenervt – von meiner Mutter, meinem Bruder … der ganzen Welt. Ich habe Callie das Leben schwer gemacht.« Er wandte den Kopf und erwiderte Amys Blick aus seinen stahlgrauen Augen. »Aber sie hat nie aufgegeben, kein einziges Mal. Ich bin auch ziemlich geduldig, Amy. Das habe ich von Callie gelernt.«
Sie hatte die Luft angehalten und atmete langsam aus. Dabei spürte sie eine Enge in der Brust. »Ich brauche keinen Freund.«
»Ich brauchte auch keinen. Da war ich mir ganz sicher.«
»Ich möchte nur allein sein. Mit den Pferden.«
Er rückte seinen Hut wieder zurecht. »Du weißt, dass du nicht hier sein sollst – es sei denn, es gäbe einen guten Grund dafür.«
»Ich habe weder Sierra etwas getan noch das Geld gestohlen.«
Er schaute sie lange an. »Willst du einen Grund haben, hier draußen zu sein? Weil nämlich Eddie, Stone, Lou und ich... wir können immer etwas Hilfe brauchen.«
»Wieso wollen Sie wissen, dass ich nicht diejenige war, die Sierra etwas angetan oder das Geld gestohlen
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