Brandherd
die Todesart befand. Zum Glück für Gerde war der Richter ein ehemaliger Polizeibeamter, der sich in die Arbeit der Kriminalpathologen nicht einmischte und sich gewöhnlich deren Entscheidungen unterwarf. Auf andere Staaten oder auch andere Countys in Pennsylvania traf das jedoch nicht zu. Dort fanden Autopsien zuweilen auf den Einbalsamierungstischen von Beerdigungsunternehmen statt, und manche Richter waren in erster Linie Politiker, die weder eine Eintritts- von einer Austrittswunde unterscheiden konnten noch sich groß drum scherten.
Unsere Schritte hallten im Treppenhaus wider. Unten angekommen, stieß Gerde eine Doppeltür auf, und wir befanden uns in einem Lagerhaus, das mit Umzugskartons voll gestapelt war und in dem es von Leuten mit Schutzhelmen wimmelte. Wir marschierten hindurch in einen anderen Teil des Gebäudes und folgten einem weiteren Flur zum Leichenschauhaus. Es war klein, hatte einen rosafarbenen Fliesenboden und zwei feste Stahltische. Gerde öffnete einen Wandschrank und reichte uns sterile Einmal-OP-Mäntel, Plastikschürzen und Überschuhe. Wir zogen alles über unsere Kleidung und Schuhe, setzten Masken auf und stülpten uns Latexhandschuhe über.
Die Tote war als Kellie Shephard, eine zweiunddreißigjährige Schwarze, identifiziert worden, die als Krankenschwester an eben dem Krankenhaus gearbeitet hatte, in dem sie nun bei den Toten lag. Sie befand sich in einem schwarzen Sack auf einem Sektionswagen im Innern eines kleinen begehbaren Kühlschranks, der an diesem Tag keine anderen Gäste hatte als leuchtend orangefarbene Pakete mit chirurgischen Präparaten und tot geborene Säuglinge, die auf ihre Einäscherung warteten. Wir rollten die Tote in den Autopsiesaal und öffneten den Reißverschluss des Beutels.
»Haben Sie sie schon geröntgt?«, fragte ich Gerde.
»Ja, und wir haben ihre Fingerabdrücke genommen. Der Zahnarzt hat gestern ihr Zahnschema aufgenommen, und wir haben sie mit den prämortalen Schemata verglichen.«
Gerde und ich öffneten den Sack, wickelten die Leiche aus blutigen Tüchern und setzten sie dem unerbittlichen Gleißen der OP-Lampen aus. Sie war steif und kalt, die blinden Augen halb geschlossen, in einem mörderisch entstellten Gesicht. Gerde hatte sie noch nicht gewaschen, und ihre Haut war überkrustet von schwärzlich-rotem Blut, das Haar steif davon wie ein Topfkratzer. Ihre Wunden waren so zahlreich und zeugten von solcher Gewalt, dass das Opfer von einer Aura der Zerstörungswut umgeben schien. Ich konnte die Raserei und den Hass des Mörders förmlich spüren und begann, mir ihren erbitterten Kampf mit ihm vorzustellen.
Finger und Handflächen beider Hände waren bis auf die Knochen zerschnitten worden, als sie, um sich zu schützen, nach der Messerklinge zu greifen versucht hatte. Sie hatte tiefe Schnitte auf der Außenseite ihrer Unterarme und Handgelenke und Schnittwunden an den Beinen, die höchstwahrscheinlich daher stammten, dass sie, auf dem Boden liegend, die Messerstiche mit Tritten abzuwehre n versucht hatte. Stichwunden bildeten wilde Muster auf Brüsten, Bauch und Schultern und an Gesäß und Rücken.
Viele Wunden waren groß und unregelmäßig und rührten daher, dass das Messer sich unter den Bewegungen des Opfers gedreht hatte oder die Schneide herausgezogen worden war. Die Merkmalskonfiguration der einzelnen Wunden ließ auf eine einseitig geschliffene Klinge schließen, dessen Heft quadratische Hautabschürfungen zurückgelassen hatte. Ein eher oberflächlicher Schnitt verlief von ihrem rechten Unterkiefer zur Wange hinauf, und ihre Kehle war durch einen Schnitt bloßgelegt worden, der unter dem rechten Ohr begann und dann bis unter die Mittellinie des Halses abwärts verlief.
»Das deutet darauf hin, dass ihr die Kehle von hinten durchgeschnitten worden ist«, sagte ich, während Benton schweigend zusah und sich Notizen machte. »Kopf zurückgebogen, Kehle bloßgelegt.«
»Ich nehme an, die Kehle war sein großes Finale«, sagte Gerde.
»Hätte er ihr gleich zu Anfang eine solche Verletzung zugefügt, wäre sie zu rasch verblutet, um sich noch irgendwie wehren zu können. Sie haben Recht. Vermutlich hat er ihr die Kehle zuletzt durchgeschnitten, vielleicht als sie mit dem Gesicht auf dem Boden lag. Was ist mit der Kleidung?«
»Ich hole sie«, sagte Gerde. »Wissen Sie, wir kriegen hier die seltsamsten Fälle. Diese ganzen scheußlichen Autounfälle, wo ein Typ am Steuer einen Herzinfarkt bekommen hat, mit dem Wagen durch die
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