Brandherd
eine Seite weiter. »Vielleicht hat es für den Täter einen symbolischen Wert. Vielleicht bietet es irgendeinen anderen Vorteil. Falls wir es wirklich immer mit demselben Täter zu tun haben und der Brandherd im Badezimmer das gemeinsame Merkmal aller Brände ist, gehe ich eher von einer symbolischen Bedeutung aus. Ich nehme an, dass das Badezimmer in seinen Augen etwas repräsentiert, gewissermaßen den Brandherd seiner Verbrechen. Zum Beispiel könnte ihm als Kind in einem Badezimmer irgendetwas zugestoßen sein. Sexueller Missbrauch, Kindesmisshandlung oder dass er dort Zeuge irgendeiner anderen traumatisierenden Tat wurde, etwas anderes schrecklich Traumatische s miterlebt hat.«
»Wie schade, dass wir Gefangenen-Akten nicht daraufhin auswerten können.«
»Das Problem ist, dass du dann mit der Hälfte der gesamten Gefängnisbevölkerung dastehst. Die meisten dieser Menschen haben irgendeine Form von Missbrauch erfahren und fügen dann anderen dasselbe zu.«
»Sie fügen anderen Schlimmeres zu«, sagte ich. »Sie sind immerhin nicht ermordet worden.«
»In gewissem Sinne schon. Wenn du als Kind geschlagen und vergewaltigt wirst, ist das ein Seelenmord, auch wenn dein Körper weiterlebt. Nicht dass man damit tatsächlich Psychopathie erklären könnte. Keine Erklärung, die ich kenne, tut das - es sei denn die, dass es das Böse gibt und dass der Mensch eine Wahl hat.«
»Genau das glaube ich.«
Er sah mich von der Seite an und sagte: »Ich weiß.«
»Was ist mit Carries Kindheit? Was wissen wir darüber, weshalb sie ihre Wahl so und nicht anders getroffen hat?«, fragte ich.
»Sie war nie bereit, sich darüber ausfragen zu lassen«, erinnerte er mich. »In ihren psychiatrischen Gutachten steht nicht viel, gerade mal das, was ihr Verhalten im jeweiligen Augenblick bestimmte. Heute verrückt, morgen wieder nicht. Dissoziierend. Deprimiert und unansprechbar. Oder aber die Musterpatientin. Diese pathologischen Kriminellen haben mehr bürgerliche Recht als wir, Kay. Und Gefängnisse und kriminalpsychiatrische Anstalten halten oft in einer Weise die Hand über ihre Insassen, dass man denken könnte, wir wären die Bösen.«
Der Morgen wurde heller, der Himmel war mi t horizontalen violetten und weißen Bändern gestreift.
Wir fuhren durch Farmland und immer wieder zwischen rosafarbenen Granitklippen hindurch, zerrissen von Dynamit, mit dessen Hilfe man die Straße hineingesprengt hatte. Von Teichen stieg Dunst auf und erinnerte mich an Kochtöpfe mit siedendem Wasser, und wenn wir an hohen Schornsteinen mit Rauchfahnen vorbeikamen, dachte ich an Feuer. Die Berge in der Ferne glichen einem Schatten, und Wassertürme sprenkelten den Horizont wie leuchtende Ballons.
Man brauchte eine Stunde bis zum Lehigh Valley Hospital, einem wuchernden, noch im Bau befindlichen Betonkomplex, mit einem Hubschrauber-Landeplatz und einer eins a Unfallabteilung. Ich parkte auf dem Besucherparkplatz, und Dr. Abraham Gerde begrüßte uns im Innern der hellen, neuen Eingangshalle.
»Kay«, sagte er herzlich und schüttelte mir die Hand. »Wer hätte je gedacht, dass Sie mich hier eines Tages besuchen würden? Und Sie sind bestimmt Benton? Wir haben hier eine gute Cafeteria, falls Sie erst einen Kaffee oder etwas zu essen möchten?«
Benton und ich lehnten höflich ab. Gerde war ein junger Kriminalpathologe mit dunklem Haar und verblüffend blauen Augen. Er hatte drei Jahre zuvor als eine seiner Ausbildungsstationen auch meine Abteilung durchlaufen. Er war noch so neu in seinem Beruf, dass seine Autorität sich noch nicht herumgesprochen hatte und sein Zeugnis als Sachverständiger vor Gericht selten eingefordert wurde. Er war jedoch bescheiden und gewissenhaft, und diese Eigenschaften waren für mich weitaus wertvoller als Erfahrung, besonders in diesem Moment. Wenn Gerde sich nicht geändert hatte, war es unwahrscheinlich, dass er die Leiche angerührt hatte, nachdem er erfahren hatte, dass ich kam.
»Sagen Sie mir, wo wir in der Sache stehen«, sagte ich, als wir einen breiten, blitzblanken grauen Flur hinuntergingen.
»Ich hatte sie wiegen und vermessen lassen und führte gerade die äußere Untersuchung durch, als der Untersuchungsrichter anrief. Sowie ich wusste, dass man das ATF hinzugezogen hatte und Sie auf dem Weg hierher waren, hab ich alles gelassen, wie es war.«
Lehigh County hatte einen gewählten Untersuchungsrichter, der darüber zu entscheiden hatte, welche Fälle autopsiert werden sollten, und danach über
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