Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks
nichts. Mein Kopf tut so weh, als ob eben alle Zementlaster von der Ryan-Baustelle darübergefahren wären. Und meine Tante, die zäh ist wie eine Ziege, hat sich gestern im Bett aufgesetzt und Nahrung zu sich genommen. Sie wollte jedoch nicht mit mir reden, als ich ihr gezielte Fragen gestellt habe, und tut so krank, daß die Ärzte ihr die Bullen vom Leib halten. Du kannst im Reese anrufen und herausfinden, ob die Medizinmänner dich mit ihr reden lassen. Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Jetzt weißt du alles, was ich weiß. Ich gehe ins Bett. Tschüs.«
Ich legte auf, ehe er noch etwas sagen konnte, und ignorierte das Telefon, als es wieder klingelte. Mr. Contreras erbot sich dienstbeflissen, mich auf der Couch mit Kissen und Decke zu versorgen, mir den Hund dazulassen, mir Tee zu machen, tausend Dinge zu tun, die die schwarzen Punkte in riesige Spiralen verwandelten.
»Ich muß allein sein, in meinem eigenen Bett. Ich ertrage jetzt keine Menschen mehr. Ich weiß, daß Sie es gut meinen, ich weiß, daß Sie mir unbedingt helfen wollen, aber ich falle in Ohnmacht oder schreie oder beides, wenn Sie jetzt nicht den Hund nehmen und gehen.«
Er war eine Spur verletzt, aber er hatte schon Fälle von Gehirnerschütterung gesehen, er wußte, daß es eine Weile dauerte, bis man wieder ganz man selbst war, bis dahin deprimierte einen jede Kleinigkeit. Klar, Engelchen, klar – er ließ mich in Ruhe. Schlaf sei jetzt das Beste für mich. Er sammelte das Geschirr ein, schnalzte mit der Zunge, als er sah, wie wenig ich von dem Steak gegessen hatte, Sie müssen doch wieder zu Kräften kommen, Engelchen. Sie sehen aus, als ob Sie in den letzten paar Tagen zehn Pfund verloren hätten. Schließlich nahm er den Hund und stieg die Treppe hinunter. Ich schloß alle drei Schlösser ab und wankte ins Schlafzimmer.
Die Spiralen zogen sich wieder zu Punkten zusammen, als ich in einem unruhigen Halbschlaf um mich schlug. Das Bild von Elena, das Gesicht in tiefe Schluchten gefurcht, Tropfinfusionen in den unterernährten Armen, tauchte immer wieder vor mir auf. Sie war eine Schreckschraube, aber jemand hatte versucht, sie umzubringen; jetzt durfte ich sie einfach nicht im Stich lassen.
Ich hatte versucht, mit ihr zu reden, ehe ich heute morgen das Krankenhaus verlassen hatte, aber sie hatte getan, als schliefe sie. »Es hat keinen Zweck, sich totzustellen, Tantchen – irgendwann mußt du mit mir reden«, hatte ich sie gewarnt.
Mez Homerin unterbrach meine Lektion, nahm mich am Arm und drängte mich aus dem Zimmer.
»Sie hat einen schweren Schock erlitten, in einer Verfassung, die ohnehin nicht die beste war. Wenn sie sich erholen soll, darf sie unter keinerlei Streß oder Druck gesetzt werden. Ich habe der Polizei verboten, sie auszufragen. Wollen Sie, daß ich Sie auch aus ihrem Zimmer aussperren lasse? Sie braucht Ihre Hilfe, keine Schimpfkanonaden von Ihnen.«
»Sperren Sie mich aus ihrem Leben aus«, fuhr ich ihn an. »Und hindern Sie
sie
daran, daß sie mich anruft, damit ich ihr ein letztes Mal helfe – schreiben Sie das auf ihre Krankenblätter. Sorgen Sie dafür, daß sie nicht meine Adresse als die ihre angibt oder mich als diejenige nennt, die ihre Rechnung bezahlt. Erledigen Sie das alles, dann haben Sie alles Recht dazu, mich aus ihrem Zimmer zu verbannen.«
Homerin schaute mich während meines Ausbruchs unverwandt an und sagte dann mit sanfter Stimme, ich solle mir überlegen, ob ich sie nicht zur Rekonvaleszenz zu mir nach Hause bringen wolle, wenn sie etwas kräftiger sei. Daraufhin verließ ich das Krankenhaus – ehe ich dem Impuls nachgab, mir sein Stethoskop zu schnappen und ihn damit zu erwürgen.
Während ich mich ruhelos herumwarf, quälte mich jetzt doch die Frage, wieviel ich meiner Tante schuldig sei. Würde mein Onkel Peter ein schlechtes Gewissen bekommen, weil er nein gesagt hatte? Natürlich nicht. Ich hatte ihn nicht einmal angerufen – mein erschöpfter Verstand war nicht in der Lage, auf seine Selbstgerechtigkeit angemessen zu reagieren. Hatte ich eine Verpflichtung Elena gegenüber, die schwerer wog als meine Rücksicht auf mich selbst, meine Arbeit, meine Sehnsucht nach Ganzheit?
Ich habe Gabriella Gläser mit Wasser an den Mund gehalten, als ihre Arme zu schwach waren, sie selbst zu heben. Ich habe für Tony den Topf im Rollstuhl geleert, als er es nicht mehr vom Rollstuhl aufs Klo schaffte. Ich habe genug getan, wiederholte ich immer wieder, ich habe genug getan. Aber ich
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