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Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks

Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks

Titel: Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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spätviktorianische Choräle. Wenn ich mich recht erinnerte, war der verrauschte Harm ein zuckersüßer Euphemismus für das Leben nach dem Tod. So gut kannte ich Elena nicht, um entscheiden zu können, ob das nur eine Lieblingswendung von ihr war oder ob sie sich nun von der Wacker-Drive-Brücke stürzen würde.
    Ich durchsuchte die Wohnung gründlich nach Indizien für Elenas Absichten. Der Matchsack war fort, das violette Nachthemd auch. Als ich im Barschrank nachschaute, fehlten genau zwölf Zentimeter aus der angebrochenen Flasche Black Label. Aber so, wie Elena heute morgen geschlafen hatte, mußte sie das, da war ich einigermaßen sicher, vor dem Zubettgehen getrunken haben.
    Es wäre mir fast lieber gewesen, wenn sie die Flasche mitgenommen hätte – das hätte mich davon überzeugen können, daß sie sich nicht sofort umbringen wollte.
    Aber konnte eine Frau wirklich ihr ganzes Leben damit verbringen, zu saufen und mit Männern herumzuziehen, und dann plötzlich im Alter von sechsundsechzig Jahren von einer so starken Reue gepackt werden, daß sie es nicht mehr ertrug? Das schien nicht allzu wahrscheinlich. Der Schlafmangel und mein Tag in den ausgebrannten Gebäuden der Near South Side trieben mich in morbide Vorstellungen.
    Ich überlegte, ob ich Lotty Herschel anrufen sollte, um die Angelegenheit mit ihr zu besprechen. Sie ist Ärztin. In ihrer Praxis an der Damen Avenue bekommt sie jede Menge Säufer zu sehen. Aber ihr Tag beginnt mit den Klinikvisiten um sieben. Es war ein bißchen spät für einen Anruf, dessen Hauptfunktion darin bestand, mein schlechtes Gewissen zu beschwichtigen.
    Ich stellte den Black Label in den Schrank zurück, ohne mir etwas einzugießen. Der alkoholische Teil meines Abendprogramms hatte an Reiz verloren, als ich mir vorstellte, wie Elena zwölf Zentimeter geschluckt hatte und dann rotgesichtig in Stupor verfallen war. Ich ging in die Küche, nahm das Kalbskotelett aus dem Gefrierfach und legte es zum Auftauen auf meinen kleinen Backautomaten, während ich ein Bad nahm. Wenn ich nicht die Polizei alarmieren wollte, konnte ich heute abend wegen meiner Tante nichts mehr unternehmen.
    Das Eintauchen in die Wanne entspannte mich nicht so wie sonst. Das Bild von Elena, wie sie, das tapfere Lächeln leicht schief, mit der Familie, die ich beim Wohnungsamt getroffen hatte, auf einer Parkbank saß, verhinderte das. Ich stieg aus der Wanne, schaltete den Backautomaten aus und zog mich wieder an.
    Das Wohnzimmerlicht von Mr. Contreras hatte gebrannt, als ich nach Hause gekommen war. Ich stieg die Vordertreppe hinunter und klopfte an seiner Tür. Der Hund jaulte ungeduldig, während Mr. Contreras an den Schlössern fingerte. Als er sie schließlich offen hatte, sprang der Hund hoch und leckte mir das Gesicht. Ich fragte den alten Mann, ob er gesehen habe, wie Elena gegangen war.
    Natürlich hatte er es gesehen – wenn er nicht im Garten wirtschaftete oder mit den Pferderennen beschäftigt war, hatte er das Haus scharf im Auge. War er zu Hause, brauchten wir eigentlich keinen Wachhund. Elena war gegen halb drei gegangen. Nein, er konnte mir nicht sagen, was sie angehabt, ob sie Make-up aufgelegt hatte. Wofür ich ihn denn hielte, für einen Schnüffler, der im Privatleben anderer Leute herumstocherte? Er konnte mir jedoch sagen, daß sie in der Diversey Avenue in einen Bus gestiegen sei. Er sei nämlich um die Ecke gegangen, um Milch zu holen. Richtung Osten, das stimmte.
    »Sie haben nicht erwartet, daß sie die Wohnung verläßt?«
    Ich hob ungeduldig die Schultern. »Sie hat keine Bleibe. Soweit ich weiß.«
    Er schnalzte mitfühlend mit der Zunge und unterzog mich einem eingehenden Verhör. Mein schmaler Vorrat an Geduld neigte sich dem Ende zu, als der Bankangestellte seine Wohnungstür aufmachte. Er trug hautenge Jeans, Marke Ralph Lauren, und ein Polohemd.
    »Herr und Heiland! Hätte ich gewußt, daß Sie rund um die Uhr im Treppenhaus herumschreien, hätte ich diese Wohnung nie gekauft.« Das runde Gesicht verzog sich zu einer finsteren Miene.
    »Und wenn ich gewußt hätte, daß Sie eine so verklemmte Heulsuse sind, hätte ich verhindert, daß Sie die Wohnung kriegen«, gab ich mißgelaunt zurück.
    Die Hündin ließ ein kehliges Knurren hören.
    »Gehen Sie nur nach oben, Engelchen«, drängte Mr. Contreras hastig. »Wenn mir noch was einfällt, rufe ich Sie an.« Er zerrte die Hündin hinter sich her in die Wohnung und schloß die Tür. Ich hörte, wie Peppy dahinter jaulte

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