Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks
ihr Baby.«
Ich schaute mir die junge Frau genau an. Ihr war schlecht, keine Frage, aber ich glaubte allmählich, daß hinter ihrem Verhalten mehr steckte als Schock.
»Ich glaube, wir müssen sie zum Arzt bringen«, sagte ich. »Hilf mir, sie anzuziehen und zum Auto zu schaffen.«
»Kein Arzt«, sagte Cerise mit schwerer Zunge. »Ich will nicht zum Arzt.«
»Doch, Sie gehen zum Arzt«, fuhr ich sie an. »Ich bin nicht die Fürsorge. Sie haben mir eben die Küche vollgekotzt, und ich habe nicht vor, den Tag damit zu verbringen, Sie zu pflegen.«
»Kein Arzt, kein Arzt!« schrie Cerise.
»Sie will wirklich nicht, Vicki«, sagte Elena in einem Bühnenflüstern.
»Das merke ich selber«, sagte ich schrill. »Zieh ihr einfach ihre Sachen an, während ich ihre Arme festhalte. Und nenn mich bitte nicht Vicki. Ich kann den Namen nicht besonders gut leiden.«
»Ich weiß, ich weiß, Herzchen«, versprach Elena hastig. »Es entfällt mir immer wieder.«
Weil Gabriella während meiner ganzen Kindheit das Elena immer wieder eingehämmert hatte –»ich habe sie nicht nach Victor Emmanuel genannt, damit die Leute mit ihr reden, als ob sie ein blödes kleines Ding wäre«–, begriff ich nicht, wie sie das vergessen konnte, aber es war nicht der richtige Zeitpunkt, Streit darüber anzufangen.
Als ich versuchte, Cerise anzuziehen, freute ich mich darüber, daß ich nicht als Pflegerin in einer psychiatrischen Klinik arbeiten mußte. Sie kämpfte gegen meinen Griff, schrie und warf sich auf dem Küchenstuhl herum. Ich bin gut in Form, aber sie strapazierte meine Muskeln bis zum äußersten. Einmal kratzte sie mir mit einem langen Fingernagel den linken Arm blutig. Es gelang mir mit knapper Not, sie trotzdem festzuhalten.
Elena arbeitete derart effektiv, daß auch ich einem Schreikrampf nahe kam. Sie zog Cerise das Höschen verkehrt herum an und schaffte es erst nach einer guten Viertelstunde, ihr den Rock überzustreifen.
»Nur noch die Schuhe«, keuchte ich. »Sie kann das T-Shirt anbehalten. Meine Schlüssel sind im Wohnzimmer. Schließ die Sperriegel auf.«
Ich versuchte ihr zu erklären, welcher Schlüssel in welches Schloß gehörte, gab es aber auf, als Elena noch verwirrter wurde. Durch irgendein Wunder schaffte sie es in weniger als einer Stunde, die Riegel aufzusperren. Cerise hatte inzwischen aufgehört, sich gegen mich zu wehren. Sie saß zusammengesackt am Küchentisch und schluchzte vor sich hin, leistete keinen Widerstand, als ich sie hinausführte. Ich nahm Elena die Schlüssel ab.
»Am besten holst du deine Sachen. Ich setze dich bei deiner neuen Pension ab, sobald Cerise beim Arzt war.«
Elena wollte sich auch auf einen Kampf mit mir einlassen, aber ich hatte kein schlechtes Gewissen mehr. Ich drückte Cerise gegen die Wand und wiederholte die Aufforderung. Meine Tante schlurfte schließlich in die Wohnung zurück. Sie blieb lange verschwunden. Als ich mich fragte, ob sie wieder dem Black Label zusprach, erschien sie endlich. Sie hatte geduscht; das graue Haar hing ihr in feuchten Ringellocken um den Kopf, aber das Make-up war vollständig und ausnahmsweise am richtigen Platz. Das violette Nachthemd quoll wieder aus dem Matchsack heraus. Sie ließ es über den Boden schleifen, als sie mir die Treppe hinunter folgte.
10 A Little Help from My Friends
Lotty Herschels Erdgeschoßpraxis ist etwa fünf Kilometer von meiner Wohnung entfernt, in der Nähe der Kreuzung zwischen Damen Avenue und Irving Park Boulevard. Auf der kurzen Fahrt kotzte Cerise auf den Rücksitz, dann zitterte sie unkontrolliert. Ich hätte Elena, die auf dem Beifahrersitz kniete, Cerise beobachtete und mich über deren Tun auf dem laufenden hielt, umbringen können.
Ich brachte das Auto neben einem Hydranten vor der Praxis mit einem Ruck zum Stehen und rannte hinein. Das kleine Wartezimmer, so gestrichen, daß es wie die afrikanische Steppe aussah, war vollgestopft mit der üblichen Mischung aus Kleinen und Großen, aus heulenden und streitenden Kindern. Mrs. Coltrain sorgte für Ordnung, bediente das Telefon und tippte Krankenblätter, ruhig wie immer. Manchmal unterstelle ich Lotty, sie habe Mrs. Coltrain in einem Katalog gefunden, der altmodische Großmütter anbietet – sie hat nicht nur neun Enkel, sondern trägt das Silberhaar außerdem in einem Knoten.
»Miss Warshawski.« Sie strahlte mich an. »Wie nett. Wollen Sie zu Frau Dr. Herschel?«
»Ziemlich dringend. In meinem Auto sitzt eine junge Frau, die sich übergeben hat
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