Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks
und jetzt in einem Schockzustand zu sein scheint. Könnten Sie Lotty fragen, ob sie gleich nach ihr schaut, wenn ich sie hereinbringe, oder ob ich sie ins Krankenhaus schaffen soll?«
Mrs. Coltrain weigert sich, Lotty und mich mit dem Vornamen anzureden – wir haben es schon lange aufgegeben, sie dazu zu drängen. Sie gab meine Nachricht an Carol Alvarado weiter, die Praxisschwester, und kurz darauf kam Carol heraus, um mir zu helfen, Cerise hineinzuschaffen. Cerises Haut fühlte sich kalt an und stumpf, wie feuchter Kunststoff, überhaupt nicht wie menschliches Gewebe. Cerise war so weit bei Bewußtsein, daß sie gehen konnte, wenn wir sie stützten, aber sie atmete flach und rollte mit den Augen.
Ein verärgertes Murmeln wurde laut, als wir Cerise durch das Wartezimmer in die Praxisräume brachten – Leute, die seit einer Stunde oder länger auf den Arzt warten, haben nichts für Patienten übrig, die sich an der Schlange vorbeimogeln. Carol packte Cerise auf einen Untersuchungstisch und wickelte sie in eine Decke. Kurz darauf fegte Lotty herein.
»Was hast du mir denn da gebracht, Vic?« Sie wartete keine Antwort ab, sondern ging sofort zu Cerise.
Ich sagte ihr das Wenige, was ich über die junge Frau wußte. »Heute morgen hat sie plötzlich geklagt, ihr sei so kalt, dann hat sie gekotzt. Ich weiß nicht, ob es an einer Schwangerschaft liegt oder an Drogen oder an beidem, aber mir war nicht wohl dabei, mich allein um sie zu kümmern.«
Lotty brummte und zog Cerises Augenlider nach oben. »Sie muß eine Weile hierbleiben. Komm in ein paar Stunden wieder.« Sie drehte sich zu Carol um und gab ihr Anweisungen für die Medikation.
Mit anderen Worten, es war an mir, herauszufinden, was mit ihr geschehen sollte, wenn Lotty sie behandelt hatte. Ich hatte nicht erwartet, daß Lotty das übernahm, aber irgendwie war es mir gelungen, den Gedanken an Cerises Zukunft zu verdrängen.
Mit hängenden Schultern und schweren Füßen ging ich zum Auto zurück. Ich hatte Cerises Eruption vergessen, aber der Gestank brachte beißend die Erinnerung zurück. Ich ging noch einmal in die Praxis und ließ mir von Mrs. Coltrain feuchte Lappen und Desinfektionsmittel geben. Während ich den Rücksitz säuberte, stellte Elena zwitschernd Fragen nach Cerise.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich müde, als ich schließlich den Motor anließ. »Ich weiß nicht, was ihr fehlt, was die Ärztin mit ihr macht, ob sie ins Krankenhaus muß. Ich erfahre das alles, wenn ich gegen Mittag wieder herfahre, dann sag ich dir Bescheid.«
Elena legte eine zittrige Hand auf meinen Arm. »Es ist nur, weil ihre Mutter und ich befreundet sind, Vicki – Victoria. Es wäre dasselbe, wenn mit dir etwas wäre und ich dich zu Zerlina brächte. Sie würde sich meinetwegen für dich verantwortlich fühlen, begreifst du das denn nicht.«
Ich nahm die rechte Hand vom Lenkrad und tätschelte ihr die dünnen Finger mit den stark hervortretenden Adern. »Klar, Elena. Ich verstehe. Dein gutes Herz ehrt dich.«
Wir fuhren eine Weile schweigend, dann fiel mir etwas ein. »Wie heißt Zerlina mit Nachnamen?«
»Ihr Nachname, Herzchen? Warum interessiert dich das?«
»Ich will sie finden. Falls sie im Krankenhaus ist, kann ich im Michael Reese nicht an die Aufnahmetresen gehen und mit ihrem Vornamen nach ihr fragen. So nehmen sie die Patienten nicht in die Kartei auf.«
»Wenn sie bei dem Feuer verletzt worden ist, Herzchen, weiß ich nicht, ob sie deinem Besuch gewachsen ist.«
»Meinem Besuch gewachsen?« Ich gab mir Mühe, im Konversationston zu sprechen, aber ein gewisses Knurren konnte ich nicht unterdrücken. »Falls du und Cerise wollen, daß ich etwas wegen dem Baby unternehme, täte sie verdammt gut daran, mich zu empfangen. Und du solltest alles tun, um mir dabei zu helfen, daß ich sie finde.«
»Achte auf deine Sprache, Victoria«, sagte Elena vorwurfsvoll. »Das Fluchen löst deine Probleme nicht.«
»Und um den heißen Brei herumzureden löst deine nicht«, fuhr ich sie an. »Sag mir ihren Nachnamen oder vergiß meine Hilfe.«
»Wenn du so mit den Zähnen knirschst, siehst du aus wie deine Großmutter in den letzten Monaten, in denen ich mit ihr zusammengewohnt habe.«
Ich bog nach Norden in die Kenmore Avenue ein und hielt vor dem Windsor Arms. Meine arme Großmutter. Wenn sie eine stärkere Persönlichkeit gewesen wäre, hätte sie Elena einen Tritt in den Hintern gegeben und sie hinausgeworfen, ehe Elena dreißig wurde. Statt dessen hat meine
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