Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks
wissen.
»Elena Warshawski«, sagte ich, ehe Michael die übliche Polizistennummer »Das geht Sie nichts an« abziehen konnte. »Wissen Sie, ob sie da ist?«
»Die ist nicht hier.«
»Gehen wir nach oben und schauen selber nach«, sagte Michael.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nützt Sie gar nix. Die ist vor drei Tagen abgehauen. Hat ihr ganzes Zeug gepackt und ist in der Nacht verschwunden.«
»Am Donnerstag?« fragte ich.
Er dachte einen Augenblick nach, zählte zurück. »Ja, stimmt. Hat sie Ärger?«
»Sie ist meine Tante«, sagte ich. »Sie fühlt sich einsam und sucht nach Menschen, die ihr Gesellschaft leisten. Ich möchte mich vergewissern, daß ihr nichts fehlt. Wissen Sie, wohin sie gegangen ist?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich saß hier drin und habe mir um zwei den Nachtfilm angeschaut, da habe ich gesehen, wie sie die Treppe runterschlich. ›Hey, Schwester, es gibt kein Gesetz dagegen, daß Sie mitten in der Nacht die Treppe runterkommen. Sie brauchen sich nicht so zu bücken‹, ruf ich ihr zu. Sie schnappt nach Luft und bittet mich, draußen nachzuschauen, ob die Luft rein ist. Geht mich nichts an, was die Leute so treiben, also geh ich hinaus, und schau ihr nach, wie sie zum Broadway hinübergeht. Niemand hat sie belästigt, also bin ich wieder reingegangen. Und da habe ich sie zum letztenmal gesehen.«
Das war beunruhigend. Jemand hatte ihr einen so üblen Schrecken eingejagt, daß sie einen sicheren Schlafplatz aufgegeben hatte, einen so üblen Schrecken, daß sie es nicht gewagt hatte, bei mir vor der Tür zu erscheinen.
»Kann ich hinaufgehen und mir ihr Zimmer anschauen?« fragte ich unvermittelt. »Vielleicht hat sie etwas hinterlassen, irgendeinen Hinweis darauf, warum sie abgehauen ist.«
Der Nachtportier musterte mich aus Augen, die der Alkohol gebrochen hatte. Nachdem er darum gebeten hatte, einen Blick auf meinen Führerschein werfen zu dürfen, schien ich seine interne Prüfung, wie auch immer die aussehen mochte, bestanden zu haben. Wir gingen zur Treppe zurück und folgten ihm, als er schwerfällig in den zweiten Stock vorausstapfte. Michael fragte mich mit einem dringlichen Flüstern, ob ich eine Ahnung hätte, wohin sie gegangen sein mochte.
»Mm.« Ich schüttelte ungeduldig den Kopf. »Die einzige Freundin, die sie im Indiana Arms hatte, liegt vermutlich noch im Krankenhaus und hat sowieso keine Bleibe.«
Der Nachtportier hantierte mühsam mit den Schlüsseln an seinem Gürtel herum, bis er den zu Elenas Zimmer fand. Er drückte auf einen Schalter, und das Licht in der nackten Glühbirne leuchtete auf. Das Zimmer war leer. Elena hatte die Nylondecke zusammengeknüllt hinterlassen. Sie hing herunter, bis auf den Boden, und enthüllte die dünne Matratze wie ein Symbol für die Schäbigkeit des ganzen Zimmers.
Ich schüttelte die Bettdecke aus. Sie verbarg nichts außer einem vom Alter grau und formlos gewordenen Büstenhalter. Elena hatte die Kunststoffkommode leer geräumt. Im Kasten unter dem Bett war nichts zurückgeblieben. Weil der Nachtportier einen Hauptschlüssel hatte, war es durchaus möglich, daß er schon hiergewesen war, um das Zimmer auszuräumen, aber soweit ich wußte, hatte Elena keine Wertsachen besessen. Der Büstenhalter erschien mir als so trostloses Überbleibsel, daß ich ihn zusammenfaltete und in meine Umhängetasche steckte.
Ich schüttelte ratlos den Kopf. »Vielleicht sollte ich mit den anderen Gästen reden. Herausfinden, ob jemand von ihnen weiß, warum sie weggegangen ist.«
Der Nachtportier fuhr sich mit den großen Händen seitlich an den Hosen entlang. »Das können Sie natürlich, aber wenn die merken, daß Ihr Freund hier ein Bulle ist, wollen sie vermutlich nicht mit Ihnen sprechen. Außerdem glaube ich nicht, daß Ihre Tante irgend jemand hier so gut gekannt hat.«
Wenn sie betrunken war, hätte sie zu jedermann alles gesagt, auch zu Menschen, die sie noch nie im Leben gesehen hatte. Jemand, mit dem sie sich drei Tage lang eine Flasche geteilt hatte, wäre ihr als lebenslanger Freund erschienen. Ich fragte den Nachtportier, wann er den Dienst antrat – es war einfacher, ihn auszuholen, als sich mit der Dame des Hauses, die tagsüber amtierte, herumzustreiten.
»Sechs. Morgen und am Dienstag habe ich frei.«
Wenn ich die Gäste ausfragen wollte, mußte ich es also heute abend noch tun. Ich ließ die Schultern hängen.
Michael beobachtete mich mitfühlend. »Schau mal, Vic. Gib mir doch eine gute Beschreibung, ich gebe sie an
Weitere Kostenlose Bücher