Brandstifter - Paretsky, S: Brandstifter - Burn Marks
zurück. Der Schlaf war so tief gewesen, daß es eine Weile dauerte, bis ich das Geräusch mit etwas außerhalb von mir in Verbindung brachte. Nachdem ich das Klingeln lange in meine Träume eingewoben hatte, trieb mein Verstand schließlich träge ins Bewußtsein zurück. Ich fühlte mich neugeboren, wie einem zumute ist, wenn ein heftiger Schmerz aus dem System verschwunden ist, aber das hartnäckige Klingeln ließ nicht zu, daß ich dies Gefühl genoß. Schließlich streckte ich den Arm aus und griff nach dem Hörer.
»H’lo?« Ich sprach mit schwerer Zunge.
»Vicki? Vicki, bist du’s?«
Es war Elena, heftig weinend. Ich schaute resigniert auf die Uhr: zehn nach eins. Nur Elena brachte es fertig, mich um diese unchristliche Zeit zu wecken.
»Ja, Tantchen, ich bin’s. Beruhige dich, hör auf zu weinen und sag mir, was los ist.«
»Ich – oh, Vicki, ich brauche dich, du mußt kommen und mir helfen.«
Sie war wirklich in Panik. Ich setzte mich auf und schlüpfte in die Jeans, die auf dem Fußende des Bettes lagen. »Sag mir, wo du bist, und was für Ärger du hast.«
»Ich – oh …« Sie schluchzte laut, dann war ihre Stimme weg.
Einen Augenblick glaubte ich, die Leitung sei unterbrochen, aber dann begriff ich, daß sie die Sprechmuschel zuhielt. Oder jemand anders hielt sie zu. War sie weggelaufen, und ihre Verfolger hatten sie eingeholt? Ich wartete in quälender Unentschlossenheit, wollte auflegen und Furey anrufen, wollte nicht auflegen, bis ich sicher war, daß die Leitung unterbrochen war. Aber ich hatte keine Ahnung, wohin ich die Polizei schicken sollte, also wartete ich. Nach einer Weile, die meinem Herzen hart zusetzte, war sie wieder da.
»Ich bin weggelaufen«, schnüffelte sie klagend. »Die arme kleine Elena hat Angst bekommen und ist weggerannt.«
Sie hatte also gar keine Todesangst gehabt, nur ihren Auftritt geprobt. Ich mußte mich anstrengen, damit mein Ton leicht blieb. »Ich weiß, daß du weggelaufen bist, Tantchen. Aber wohin bist du gerannt?«
»Ich habe in einem alten Gebäude in der Nähe vom Indiana Arms gewohnt. Es steht seit Monaten leer, aber manche Zimmer sind noch in ganz gutem Zustand, man kann dort schlafen, und niemand sieht einen. Aber jetzt haben sie mich gefunden, Vicki, die bringen mich um, du mußt kommen und mir helfen.«
»Bist du jetzt in dem Gebäude?«
»An der Ecke ist ein Telefon«, schluckste sie. »Die bringen mich um, wenn sie mich sehen. Tagsüber traue ich mich nicht hinaus. Du mußt kommen, Vicki – sie
dürfen
mich hier nicht finden.«
»Wer will dich umbringen, Elena?« Es wäre mir lieber gewesen, wenn ich ihr Gesicht hätte sehen können, statt sie nur zu hören – es war unmöglich herauszufinden, wieviel Wahrheit in ihrem Geschwätz steckte.
»Die Leute, die hinter mir her sind«, schrie sie. »Komm doch, Vicki, hör auf, so viele gottverfluchte Fragen zu stellen, du benimmst dich ja wie ein gottverfluchter Steuereintreiber.«
»Okay, okay«, sagte ich beruhigend, in dem Ton, in dem man mit Kleinkindern spricht. »Sag mir, wo das Gebäude ist, und ich bin in einer halben Stunde dort.«
»Schräg gegenüber vom Indiana Arms.« Sie hatte sich so weit beruhigt, daß sie leise tremolierend schluchzte.
»Indiana Avenue oder Cermak Road?« Ich band mir die Laufschuhe zu.
»In-Indiana. Kommst du?«
»Schon unterwegs. Bleib, wo du bist, am Telefon. Ruf 911 an, wenn du glaubst, daß wirklich jemand kommt.«
Ich knipste die Nachttischlampe an, wählte Fureys Privatnummer und trug das Telefon zum Schrank hinüber. Es klingelte fünfzehnmal, ehe ich aufgab und es auf dem Revier versuchte. Der Mann vom Nachtdienst sagte, Michael sei nicht da. Auch Bobby, Finchley und McGonnigal waren nicht da.
Ich zögerte, schloß den Safe auf der Rückseite des Schranks auf, in dem ich meine Smith & Wesson aufbewahre. Ich erklärte, Bobby wolle, daß Elena gefunden werde, und habe Michael darauf angesetzt, nach ihr Ausschau zu halten.
»Sie hat mich eben von einem leerstehenden Haus in der Indiana Avenue angerufen. Sie sagt, sie ist in Gefahr – ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich bin unterwegs dorthin, um sie zu holen. Ich möchte, daß Furey und der Lieutenant das erfahren.«
Er versprach, Michael über Funk anzurufen und ihm die Adresse zu geben. Ich stellte das Telefon auf den Schrankboden, während ich das Magazin überprüfte. Es war voll, und die neunte Kugel steckte im Lauf. Ich vergewisserte mich sorgfältig, daß die Pistole gesichert war,
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