Brandung des Herzens
Caleb.
»Dachte mir doch gleich, daß mir der Wildlederdreß irgendwie bekannt vorkam«, sagte Wolfe. »Jedenfalls... Slaters Männer brauchten eine Minute, um zu erkennen, daß da ein Mädchen angeritten kam. Als sie’s kapiert hatten, lehnten sie sich gemächlich zurück in der Annahme, die Sache ließe sich ohne großes Aufhebens erledigen. Bis sie ihre Waffen gezogen hatten, war Willow fast auf ihrer Höhe. Sie schossen ein paarmal, um sie aufzuhalten, das Mädchen feuerte zurück, und einer der Männer riß sie geradewegs aus dem Sattel, als der Hengst vorbeigaloppierte.«
Calebs Hand um den Gewehrkolben verkrampfte sich unwillkürlich. »Hat er sie verletzt?«
»Nicht so sehr, wie sie ihn verletzt hat«, erwiderte Wolfe, Befriedigung in jeder Silbe. »Er hätte ebensogut eine Wildkatze packen können. Bis ich von den Felsen da herunter war und bei den Männern angelangt, lag Willow mit gefesselten Händen und Füßen am Boden, und der Mann, der sie aus dem Sattel gezogen hatte, hatte nicht mehr genug Haut im Gesicht, als daß sich eine Rasur gelohnt hätte.«
Wolfe erwähnte nichts davon, daß Willow ebenfalls etwas mitgenommen aussah, den deutlichen Abdruck einer Männerhand auf ihren bleichen Wangen.
»Dann kreuzte Slater auf und fing an, Fragen über dich zu stellen«, fuhr Wolfe fort, wobei er Caleb anschaute. »Willow sagte, sie wüßte nicht, wo du wärst; sie hätte sich verirrt.«
»Hat Slater ihr geglaubt?« wollte Reno wissen.
Wolfe machte ein unglückliches Gesicht, als er seinen Hut abnahm, sich mit den Fingern durch das dichte, schwarze Haar strich und sich den Hut dann wieder tief in die Stirn drückte. »Nein. Er fand irgendein Buch, das sie dabeihatte. Schien eine Landkarte und einen Haufen Notizen zu enthalten.«
»Mein Tagebuch«, warf Caleb ein. »Sie hat es mitgenommen.«
Wolfes Augen verengten sich, er stellte jedoch keine Fragen, trotz seiner Neugier. »Slater befahl ihr, auf der Karte zu zeigen, wo sie gewesen war. Sie blickte ihm in die Augen, ohne mit der Wimper zu zucken, und erklärte, sie könne nicht lesen. Daraufhin schleuderte er ihr das Tagebuch ins Gesicht und erwiderte, sie hätte Zeit, es zu lernen, bis sich die Pferde abgekühlt hätten.«
»Wieviel Zeit bleibt uns noch?« erkundigte sich Reno.
Schweigend ließ Wölfe seinen Blick über die Landschaft schweifen und prüfte den Stand der Sonne. »Vielleicht noch eine Stunde. Ihre Pferde waren von den Fesselgelenken bis zu den Ohren mit Schaum bedeckt. Deshalb bin ich das Risiko eingegangen und habe nach euch gesucht. Wenn ich euch nach fünf weiteren Minuten nicht gefunden hätte, wäre ich zurückgeritten.«
Calebs Mund preßte sich zu einer schmalen Linie zusammen. Er wußte, was Wolfe nicht aussprach-Jed Slater war ein Mann, der es gewohnt war zu bekommen, was er haben wollte, und seine Wünsche mit höchst wirkungsvollen Methoden durchzusetzen vermochte. Seinen Ruf, Grausamkeit anzuwenden, hatte er während eines besonders harten Krieges erworben.
Wolfe sah Calebs finstere Miene und wußte sofort, was der andere dachte. Zögernd, wohl wissend, daß er besser den Mund halten sollte, ertappte Wolfe sich dennoch dabei, wie er die Frage aussprach, die ihm keine Ruhe mehr gelassen hatte seit dem Moment, als ihm klargeworden war, wen Slaters Männer verfolgten. »Wie bist du von Willow getrennt worden?« fragte er.
Caleb sagte nichts.
Reno fluchte unterdrückt und gestand: »Sie hat die Hufe ihres Pferdes mit Lumpen umwickelt und ist mitten in der Nacht aus dem Tal geschlichen.«
Schweigen herrschte, während Wolfe über Renos Worte nachdachte. »Dann ist sie vor euch beiden davongelaufen«, sagte er schließlich.
»Ja.«
»Verdammt.« Wolfe seufzte. »Irgendeine Ahnung, warum sie abgehauen ist?«
Reno wartete nicht erst, bis Caleb eine Erklärung lieferte. »Willow glaubt, Caleb hätte sie sozusagen aus Gründen der Gerechtigkeit verführt... um sich bei mir für die Verführung seiner Schwester zu revanchieren.«
»Gottverdammte Scheiße«, fluchte Wolfe so schockiert, daß er in eine Sprache zurückfiel, die zu vergessen er sich geschworen hatte. »Warum hat...«
»Die Pferde sind jetzt genug ausgeruht«, unterbrach Caleb ihn schroff. »Laßt uns weiterreiten.«
Ohne abzuwarten, ob die anderen Männer ihm folgten, gab Caleb seinem Wallach die Sporen und trieb ihn zu schnellem Handgalopp an. Eine Minute später überholte Wolfe ihn und übernahm die Führung. Sie wechselten kein Wort mehr, bis Wolfe das
Weitere Kostenlose Bücher