Brandung des Herzens
durch ihre grasbewachsene Mitte schlängelte, war die kleine Waldlichtung so bezaubernd, daß Willow einen verzückten Laut ausstieß, als sie ihr Pferd neben Caleb zügelte. Dann blickte sie von der Wiese zu den Berggipfeln, die endlich frei von Wolken waren, und erstarrte.
Die Berge waren überwältigend. Schneebedeckt, sturmumtost, nackt und kahl in ihrer trostlosen granitenen Höhe, dominierten die Gipfel Himmel und Erde gleichermaßen. Willow hatte in ihrem ganzen Leben noch niemals etwas so Atemberaubendes gesehen.
»Es ist, als sähe man das Angesicht Gottes«, sagte sie mit leicht zitternder Stimme.
Caleb empfand die gleiche Ergriffenheit wie Willow, und seine Emotionen spiegelten sich in seinen Augen wider. Er liebte die Berge auf eine Weise, wie er nichts sonst liebte; es war das innige, tief in seiner Seele verwurzelte Gefühl, zu ihnen zu gehören und sie zu ihm. Aber ebenso tief wie seine Liebe war auch sein Wissen und Verständnis um die Rockies. Die Berge waren für die Menschen etwas ganz Besonderes.
Die Menschen waren nichts Besonderes für die Berge.
Caleb stieg aus dem Sattel und machte sich systematisch daran, die Führungsseile der Stuten um ihre Hälse zu binden und sie so von dem unaufhörlichen Zerren an ihrem Kopfgeschirr zu befreien.
»Hat Ishmael eine Lieblingsstute?« fragte er.
»Dove. Die Fuchsstute, die Sie geführt haben.«
»Steigen Sie ab. Ich werde sie für Sie satteln, es sei denn, Sie glauben, Ishmael wird uns gar nicht mehr folgen, wenn er nicht angeleint ist.«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich weiß.« Caleb preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Was er tun würde, gefiel ihm ganz und gar nicht, aber das änderte nichts an der Sache. Es mußte einfach getan werden. »Ihre Araber sind zäh und flink und gut abgerichtet. Jetzt werden wir herausfinden, ob sie auch klug sind. Wenn sie’s sind, werden sie uns ohne Führungsseil folgen, egal, wie erschöpft sie sind oder wie beschwerlich der Treck wird. Wenn sie nicht klug sind...« Er zuckte die Achseln. »Dann kann man eben nichts daran ändern. Ich werde für kein Pferd der Welt unser beider Leben aufs Spiel setzen, und wenn es noch so edle Tiere sind.«
»Das Unwetter hat doch sicher unsere Spuren ausgelöscht«, sagte Willow eindringlich. »Wir werden auch weiterhin unseren Vorsprung vor den Banditen halten können, es sei denn, sie kennen die Gegend so gut wie Sie.«
»Ich bezweifle, daß sie sich so gut auskennen, aber ob sie die hohen, wenig benutzten Pässe kennen oder nicht, spielt keine Rolle.«
»Was?«
»Es spielt keine Rolle«, erwiderte Caleb kategorisch. »Von jetzt an werden wir die Pferde nicht mehr führen. Es ist zu gefährlich. Von hier ab wird der Weg nämlich verdammt hart.«
»Wird hart?« wiederholte Willow ungläubig und entsetzt zugleich.
»Ganz richtig, Südstaatenlady.« Er fixierte sie mit grimmigen, goldenen Augen. »Was wir bisher bewältigt haben, waren ein paar kleine Buckel in der Landschaft, verstreut zwischen Tälern und Parks. Nicht der Rede wert. Ein Pferd kann den Halt unter den Hufen verlieren, in die Knie gehen, sich ein bißchen das Fell abwetzen, wieder auf die Beine kommen und seinen Weg fortsetzen.«
Caleb nahm seinen Hut ab und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Wo wir jetzt hingehen, herrschen völlig andere Verhältnisse. Dort oben kann Sie jeder Ausrutscher das Leben kosten. Es gibt Stellen, wo man beim Abstürzen eine ganze Weile schreien könnte, bevor man unsanft landet.«
Willow wandte sich ab und betrachtete schweigend ihre Pferde. Die ungewohnte Höhe und der tagelange harte Ritt hatten bei allen Tieren ihre Spuren hinterlassen. Sie waren magerer geworden, weniger wachsam, und sie grasten hungrig auf jedem Fleckchen Gras in ihrer Reichweite. Die Araber waren stark und willig, aber sie waren völlig zermürbt. Auch Willow fühlte sich am Ende ihrer Kräfte, obwohl sie wenig mehr getan hatte, als sich am Sattelknauf festzuhalten.
Schweigend blickte Willow zurück auf den Park und die steilen, majestätischen Gipfel, die den Himmel verdeckten, ganz gleich, in welche Richtung sie sich wandte.
»Gibt es wirklich einen Weg durch die Berge?« flüsterte sie.
»Ja. Von unserem Standort aus ist er nicht zu erkennen, aber es gibt ihn dennoch. Die Route zu finden ist kein Problem. Das Problem besteht darin, dort oben hinaufzukommen, bevor die beiden Revolverhelden über uns herfallen.«
Große haselnußbraune Augen forschten in Calebs Gesicht.
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