Brandung des Herzens
angsteinflößend, wie viele Kugeln ein einzelner Mann innerhalb kurzer Zeit abfeuern konnte.
»Sie sind ja eine1-Mann-Armee mit diesem Gewehr«, sagte sie leise.
»Eine gottverlassene Armee!« knurrte Caleb und starrte trostlos den Berghang hinunter, während er methodisch Patronen in die Gewehrkammer schob, um die gebrauchten zu ersetzen. »Nicht in der Lage, die Breitseite einer Scheune auf sechshundert Meter zu treffen!«
»Bei diesem Licht könnten Sie schon von Glück sagen, die Scheune überhaupt zu sehen.« Willow verlagerte ihr Gewicht, bis sie durch einen Spalt zwischen den Felsen spähen konnte. »Sieht aus, als hätten Sie einen von ihnen getroffen.«
»Seine eigene Dummheit hat ihn niedergestreckt, nicht ich. Verdammter Idiot. Hat seinem Pferd die Sporen gegeben, als es ohnehin schon so in Panik war, daß es glatt über den Mond gesprungen wäre. Das Tier ist in die Tiefe gestürzt und er desgleichen.«
»Lebt er?«
Caleb zuckte nur die Achseln und fuhr fort, über seinen Gewehrlauf hinweg den Abhang zu beobachten und nach verdächtigen Bewegungen auszuspähen, die ankündigten, daß ein Pferd zurückkehrte oder sich ein Mann am Waldrand hinaufbewegte, um Calebs Schüsse zu erwidern.
Das Trommeln galoppierender Pferdehufe hallte den Hang hinauf. Die Hufschläge klangen dumpf und verzerrt in der Stille, die dem scharfen, deutlichen Knall des Repetiergewehrs gefolgt war.
»Es wird Zeit für uns«, sagte Caleb. »Wir müssen weiter.«
»Was ist mit ihm?« fragte Willow mit einem Blick auf den unbeweglich daliegenden Reiter.
»Der grübelt über den Lohn der Sünde nach. Stören wir ihn nicht in seinen Gedanken.«
7. Kapitel
Caleb führte seinen kleinen Trupp weiter den Berg hinauf und quer über den rutschigen, steilen Felshang in einem Tempo, das an Selbstmord grenzte. Selbst seine großen Gebirgspferde keuchten vor Anstrengung, bevor sie den Kamm erreichten und sich auf der anderen Seite wieder hinunterzuschlängeln begannen. Auf dieser Seite des Berges wuchs der Wald dichter und umfing Caleb und Willow fast augenblicklich. Wieder mischten sich Fichten mit Tannen und Espen. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen und war nun kaum mehr als ein nasses Flüstern. Espenstämme schimmerten in gespenstischer Helle zwischen den dunkleren Tannen und Fichten.
Es gab viele mögliche Pfade den Berg hinunter. Caleb ignorierte die augenfälligen, als er die Bergschulter umrundete und die steilsten Abschnitte in Zickzacklinien bewältigte, wobei sie immer weiter in die Tiefe kletterten.
Im Reiten zog er das Tagebuch seines Vaters aus der Satteltasche und verglich Landmarken mit denjenigen, die sein Vater in seinen Aufzeichnungen beschrieben hatte.
Als Caleb schließlich das Signal zum Halten gab, blickte Willow benommen zur Sonne hinauf. Es würde noch mehrere Stunden dauern, bis die Sonne nach einem Tag unterging, der der längste ihres bisherigen Lebens geworden war. Willow war vor Erschöpfung in eine grimmige, verbissene Art von Gleichgültigkeit gefallen. Sie brauchte einige Minuten, um zu erkennen, daß Caleb verschwunden war. Sie zog das Gewehr aus seinem Futteral, klammerte sich an den Sattelknauf und wartete, daß er wieder aus dem Wechselspiel von Wald und Lichtungen hervorkam.
Der milchige, kühle Nebel der höheren Lagen war einer lokaleren Wolkendecke gewichen. Ein unablässiger Wind strich durch die Eiben und ließ Espenblätter mit einem Geräusch wie sanfter Regen erzittern. Als die Sonne durch die Wolken brach, brannte sie mit einer reinen, intensiven Hitze, die Willow schon bald dazu brachte, ihre dicke Jacke auszuziehen, die Verschnürung an ihrem Wildlederhemd zu öffnen und verstohlen das weiche rote Flanellhemd darunter aufzuknöpfen, um die milde Brise kühlend über ihre Haut streichen zu lassen.
Der gedämpfte, unheimliche Klagelaut der Mundharmonika sagte Willow, daß Caleb zurückgekehrt war. Erleichtert schob sie ihr Gewehr wieder in sein Futteral und trieb Dove vorwärts. Caleb kam auf Trey aus dem Waldstück herausgeritten. Er hatte sich längst seiner Schaffelljacke und der Lederweste entledigt und auch mehrere Knöpfe an seinem Wollhemd geöffnet.
»Falls jemand in der Nähe ist, so hinterläßt er weniger Spuren als ein Schatten«, sagte Caleb. »Kommen Sie. Nach Dads Tagebuch gibt es ein kleines Stück weiter voraus einen guten Lagerplatz.«
»Werden wir wirklich so früh Rast machen?« fragte sie und bemühte sich vergeblich, die Hoffnung aus ihrer Stimme
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