Brandung des Herzens
Gipfel über dreitausend Meter. Die dünne Luft und der tagelange harte Ritt hatten ihn ebenso erschöpft wie die Pferde.
Bis sie den Fuß des letzten, steilen Abhangs erreichten, blieb Caleb alle paar Meter stehen, um zu Atem zu kommen und sich nach den Pferden umzuschauen, die jetzt mehrere Meilen weit den Pfad hinunter verstreut waren. Die Wolkendecke war auseinandergerissen zu einzelnen Gebilden, die zwischen Graten eingebettet hingen. In der Ferne glänzte helles, goldenes Licht, wo die Spätnachmittagssonne in Täler zwischen wolkenverhüllten Gipfeln hinunterschien.
Trey stand mit gesenktem Kopf da, sein Atem ging stöhnend, seine Flanken zitterten. Er war vielleicht in der Lage, noch eine Strecke weiterzulaufen, konnte aber kein Gewicht mehr tragen, auch keine so leichte Reiterin wie Willow. Caleb lockerte den Sattelgurt und zog Willow von Treys Rücken. Er legte sich die schweren Satteltaschen und die Bettrolle über die linke Schulter, stützte Willow mit seinem rechten Arm und begann, den Pfad hinaufzuklettern. Nur einmal blieb er stehen und stieß einen schrillen Pfiff aus. Trey hob den Kopf und setzte sich widerstrebend wieder in Bewegung.
Der Wind hatte den Schnee fortgeblasen, um die felsigen Knochen des Berges zu enthüllen. Die Felsen waren dunkel, fast schwarz, verwittert von der Last der Zeit und des Eises. Der geisterhafte Weg verlor sich, aber es gab keinen Zweifel an ihrem Ziel. Caleb konzentrierte seinen Blick auf den nackten Grat, der sich vor ihm erhob und ein beträchtliches Stück des Himmels verdeckte. Er bemerkte kaum, wie die Wolken weiter zurückwichen und strahlendes, goldenes Licht über das Land strömte.
Willow versuchte, ohne Hilfe zu gehen. Es gelang ihr zwanzig Atemzüge lang, dann sechzig, dann hundert. Sie glaubte, immer noch zu gehen, als sie Calebs Arm fester um ihre Taille gleiten fühlte. Vage wurde ihr bewußt, daß sie gestürzt wäre ohne seine Unterstützung. Sie versuchte, sich zu entschuldigen.
»Sag nichts«, keuchte er. »Geh weiter.«
Nach mehreren zitternden Atemzügen brachte Willow noch ein paar Schritte zustande. Caleb, der ebenfalls hart nach Luft rang, blieb an ihrer Seite, stützte sie, drängte sie vorwärts. Gemeinsam kämpften sie sich den steilen Felsgrat hinauf, und sie hörten nichts bis auf ihren eigenen hämmernden Puls und das Rasseln ihrer überanstrengten Lungen. Alle paar Minuten blieb Caleb gerade lange genug stehen, um wieder einen schrillen Pfiff den Pfad hinunterzuschicken und Trey und Deuce anzuspornen, die alle Stuten weit hinter sich zurückgelassen hatten.
Caleb verlagerte das Gewicht der Satteltaschen und der Bettrolle auf die andere Schulter, legte seinen freien Arm fest um Willow und machte sich wieder an den Aufstieg. Alle dreißig Schritte hielt er inne, um zu Atem zu kommen, dann alle zwanzig, doch selbst das reichte nicht für Willow. Der lange, harte Ritt, die Ungewißheit, der Kampf gegen die Comancheros, die Höhe, alles das hatte stark an ihren Kräften gezehrt.
Verbissen kämpfte sich Willow weiter hinauf, wobei sie versuchte, sich nicht auf Caleb zu stützen. Es war unmöglich. Ohne seine Kraft hätte sie noch nicht einmal mehr stehen können.
»Fast... da«, sagte Caleb keuchend.
Willow gab keine Antwort. Sie konnte es nicht. Ihre Schritte waren nur noch Zentimeter auseinander, hatten mehr Ähnlichkeit mit unbeholfenem Gestolpere als wirklichem Gehen.
Caleb blickte den Weg vor sich hinauf und erinnerte sich plötzlich mit unnatürlicher Klarheit der Worte, mit denen sein Vater den Black Pass in seinem Tagebuch beschrieben hatte: Steil, rauh und kälter als die Titten einer Hexe. Aber es gibt diesen Paß, und er läßt sich bezwingen von jedem Mann, der genug Mumm hat, es mit ihm aufzunehmen. Er windet sich weiter hinauf und über die große kontinentale Wasserscheide hinweg, bis du in Gottes Auge schaust, hoch genug, um die Engel singen zu hören, falls du noch etwas anderes hören kannst außer dem Hämmern deines Herzens und dem Keuchen deines Atems.
Ganz plötzlich waren Caleb und Willow am Ziel angekommen, standen am Rande des Himmels, während ihre Herzen hämmerten und ihr Atem keuchte und die Engel um sie herum sangen. Caleb löste seinen Griff um Willows Taille, erlaubte ihr, auf den Boden zu sinken. Er ließ die Satteltaschen und die Bettrolle fallen, setzte sich neben sie und zog sie an seine Brust.
Dankbar und erleichtert schmiegte sich Willow an ihn. Lange Zeit rang sie verzweifelt nach Luft.
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