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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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den
Zündschlüssel, an dem noch die zerrissene Kette baumelte,
im Schloß. Der Anlasser gab keinen Mucks von sich.
    Sehr konzentriert und bedächtig stieg er aus dem Wagen und
ging in sein Appartement zurück, um Janice anzurufen und sie
anzuweisen, die Pressekonferenz abzublasen. Die Leitung war
besetzt.
     
    Ulric erblickte die junge Frau nicht, bis sie ihm beinahe auf den
Kopf gefallen war. Er war mit gesenktem Kopf und die Hände tief
in den Taschen seines Parka vergraben gewandert und hatte an die
Pressekonferenz gedacht. Er hatte sein Appartement ohne die Uhr
verlassen und war sehr rasch zur Forschung hinüber gegangen. Er
war über eine Stunde zu früh angekommen, und außer
einer der Bräute Brads – deren Namen ihm nicht einfallen
wollte – war noch niemand da. Sie sagte: »Ihre biologische
Uhr geht falsch. Ihre Biorhythmus-Kurven müssen ganz tief unten
sein«, und er hatte ihr bedenkenlos zugestimmt, ohne auch nur
den blassesten Schimmer zu haben, wovon sie sprach.
    Er war durch den Orientalischen Garten zurückgewandert und
hatte Verzweiflung in sich aufsteigen gespürt. Er war nicht
einmal sicher, die Konferenz durchstehen – geschweige denn,
Sally Mowen warnen zu können. Vielleicht sollte er gar nicht
erst auf die Konferenz gehen, sondern durch ganz Chugwater gehen,
wahllos junge Mädchen beim Arm packen und sie fragen:
»Sprechen Sie Englisch?«
    Während er diesen Einfall ernsthaft erwog, hörte er
über sich einen lauten Knall, und ein junges Mädchen fiel
ihm auf den Kopf. Er bemühte sich, die Hände aus den
Taschen zu befreien, um sie aufzufangen, aber er benötigte eine
ganze Weile, um zu erkennen, daß er sich unter der Pappel
befand, und daß es sich bei dem Knall um das typische
Geräusch eines brechenden Astes gehandelt hatte; deshalb konnte
er sein Vorhaben nicht rechtzeitig ausführen. Er bekam eine Hand
aus der Tasche und schaffte es, einen Schritt zurückzutreten;
aber das war nicht genug. Sie landete mit ihrem ganzen Fallgewicht
auf ihm, und sie rollten beide vom Weg und auf das Laub. Als sie zur
Ruhe kamen, lag Ulric auf dem Mädchen, einer seiner Arme befand
sich unter ihrem Rücken, der andere umfaßte ihren Kopf.
Die Wollmütze war ihr vom Kopf gefallen, und ihr Haar lag
anmutig über das rauhreifumränderte Laub gebreitet und
quoll üppig durch seine Finger. Sie sah zu ihm empor, und ihr
Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, daß sie ihn
kannte. Es fiel ihm nicht einmal ein, sie zu fragen, ob sie Englisch
sprechen könne.
    Statt dessen fiel ihm nach einer Weile ein, daß er Gefahr
lief, sich zu der Pressekonferenz zu verspäten. Zur
Hölle mit der Pressekonferenz, dachte er. Zur Hölle
auch mit Sally Mowen – und er küßte sie
erneut.
    Nachdem er dieser Tätigkeit noch eine Weile oblegen hatte,
begann sein Arm, taub zu werden, und er befreite seine Hand aus ihrem
Haar und stützte sich ab, um sich zu erheben.
    Sie rührte sich nicht; selbst dann nicht, als er neben ihr
kniete und die Hand ausstreckte, um auch ihr aufzuhelfen. Sie lag
einfach nur dort und blickte zu ihm hoch, und sah aus, als
dächte sie angestrengt über etwas nach. Dann schien sie zu
einem Entschluß zu gelangen; denn sie ergriff seine Hand und
gestattete ihm, ihr auf die Beine zu helfen. Sie wies unbestimmt in
die Höhe. »Der Mond blaut«, sagte sie.
    »Was?« erwiderte er. Er fragte sich, ob der Ast sie am
Kopf getroffen haben mochte.
    Ihr Finger deutete immer noch in den Himmel. »Der Mond
blaut«, wiederholte sie. »Er hat schon gestern abend ein
wenig geblaut, aber jetzt blaut er mehr.«
    Er verdrehte den Kopf, um zu sehen, worauf sie wies – und
tatsächlich stand der dreiviertel volle Mond leuchtend blau am
Himmel – was ihre Worte bestätigte; aber keineswegs ihre
Redeweise erklärte. »Fühlen Sie sich gut?«
erkundigte er sich. »Sie sind doch hoffentlich nicht
verletzt?«
    Sie schüttelte den Kopf. Man sollte niemanden, der eine
Gehirnerschütterung hat, fragen, ob es ihm gutgeht, dachte
er. »Haben Sie Kopfschmerzen?«
    Wieder schüttelte sie den Kopf. Vielleicht war sie nicht
verletzt. Vielleicht war sie eine ausländische
Austausch-Beraterin der Forschungsabteilung. »Woher kommen
Sie?« fragte er.
    Sie sah überrascht aus. »Ich bin aus dem Baum fallen.
Sie haben mich mit dem Gesicht auffangen.« Sie strich sich ein
paar Pappelblätter aus den Haaren und zog ihre Wollmütze
wieder an.
    Sie verstand alles, was er sagte und benutzte eindeutig englische
Wörter, obwohl sich das, was sie

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