Brandwache
dem Wort Sprache fehlten,
aber ansonsten ergab die Botschaft einen Sinn, den sie als durchaus
auf sie persönlich gemünzt hätte verstehen
können, wenn die Botschaft selbst sie nicht so erstaunt
hätte. Ihr spezielles Studiengebiet war die Erzeugung von
Sprache. Sie hatte es die ganze letzte Woche in der Klasse getan;
alle linguistischen Regeln der Wortveränderungen auf
existierende Wörter angewendet; Verallgemeinerungen und
Spezialisierungen von Bedeutungen, Umstellungen der Wortgruppen,
Abkürzungen, präpositionale Wortverbindungen – um eine
neu klingende Sprache zu erzeugen. Zu Beginn war es ihr fast
unmöglich erschienen, aber als die Woche zu Ende gegangen war,
hatte sie den Professor ohne nachzudenken mit den Worten
begrüßt: »Guttag. Ich habe meine Hausgaben
lernt.« Bestimmt konnte sie etwas Vergleichbares für Ulric
Henry vollbringen, den kennenzulernen sie ohnehin vorgehabt
hatte.
Den Mann, der im Begriff war, sich dem Schauplatz über die
Brücke zu nähern, hatte sie völlig vergessen. Er war
fast am Baum angekommen. In höchstens zehn weiteren Schritten
würde er hochsehen und sie wie einen geistig verwirrten Geier
auf dem Ast hocken sehen. Wie soll ich es jemals meinem Vater
erklären können, wenn mich jemand so sieht? dachte sie
und streckte vorsichtig tastend einen Fuß hinter sich aus. Sie
war noch immer mit diesem Problem beschäftigt, als der Ast
abbrach.
Mr. Mowen brach erst um fünfzehn Minuten vor elf Uhr zu der
Pressekonferenz auf. Sein Telefonat mit Charlotte hatte noch
angedauert, als Sally aufgebrochen war; und als er Charlotte gebeten
hatte, sich einen Augenblick zu gedulden, damit er Sally sagen
konnte, sie solle warten, bis er sie an den Ort der Konferenz fahren
konnte, hatte Charlotte ihn einen sexistischen Tyrannen genannt und
ihn angeklagt, Sallys dominante Charakteranlagen durch seine
repressive, männliche seelische Einschüchterung zu
unterdrücken. Mr. Mowen hatte nicht die geringste Ahnung,
worüber sie sprach.
Sally hatte die Glassplitter zusammengekehrt und eine neue
Glühbirne im Bad installiert, bevor sie aufgebrochen war; aber
Mr. Mowen hatte vorgezogen, das Schicksal nicht unnötig
herauszufordern, und sich mit einem Batteriegerät rasiert. Als
er sich vorgebeugt hatte, um ein Stück Toilettenpapier
abzureißen, war er mit dem Kopf unter die offenstehende
Tür des Medizinschränkchens gestoßen. Nach diesem
Erlebnis war er ganz still auf dem Badewannenrand sitzen geblieben
und hatte sich gewünscht, Sally wäre noch zu Hause und
könnte ihm beim Anziehen helfen.
Als die halbe Stunde Verstrichen war, hatte Mr. Mowen den
Schluß gezogen, daß Streß die Ursache für die
Unfallserie war, die ihn seit heute morgen heimsuchte (Charlotte
hatte einige Wochen lang Biofeedback gesprochen), und daß sich
alles in Wohlgefallen auflösen würde, sobald er sich nur
entspannte. Er tat zum Abschluß noch einige tiefe, langsame
Atemzüge und stand auf. Die Tür des
Medizinschränkchens stand noch immer offen.
Indem er sich sehr umsichtig bewegte und alle gefährlichen
Begegnungen mit toten Gegenständen vermied, schaffte es Mr.
Mowen, sich fertig anzukleiden und einigermaßen unbeschadet zum
Wagen zu gelangen. Er hatte zwar kein Paar zueinander passender
Socken finden können, und der Aufzug hatte ihn bis zum Dach
hinauf getragen, aber Mr. Mowen hatte jedesmal nur tief und ruhig
geatmet, und er begann sogar, sich gelassen zu fühlen, als er
die Wagentür öffnete.
Er stieg hinein und schloß die Tür. Sie klemmte seinen
Mantelschoß ein. Er öffnete die Tür wieder und
verkrümmte sich, um den Mantel ganz in das Wageninnere zu
ziehen. Ein Handschuh fiel aus der Manteltasche auf den Boden. Er
beugte sich weiter hinaus, um den Handschuh aufzuheben, und
stieß krachend mit dem Kopf unter die an der Wagentür
angebrachte Armlehne.
Er tat einen tiefen, ziemlich bebenden Atemzug, schnappte sich den
Handschuh und schlug die Wagentür zu. Er kramte den
Startschlüssel aus seiner Tasche und steckte ihn ins
Zündschloß. Die Schlüsselbundkette zerriß, und
sämtliche daran hängenden Schlüssel verstreuten sich
über den Boden vor den Vordersitzen. Als Mr. Mowen sich
bückte, um sie aufzuklauben – sehr darauf bedacht, nicht
mit dem Kopf an das Lenkrad zu stoßen – fiel ihm der
andere Handschuh aus der Manteltasche. Er ließ die
Schlüssel liegen, wo sie lagen, und setzte sich aufrecht hin und
sah auf den Fahrtrichtungsanzeiger und die Sichtblende. Er drehte
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