Brandzeichen
das bei der Explosion durch die Luft geschleudert wurde.« Danach holte sie sich eine weitere Schachtel von dem langen Tisch, auf dem die noch unbearbeiteten Beweisspuren lagen und der im Minutentakt voller wurde. Sie überprüfte die Aufschrift, bestätigte sie mit ihren Initialen und öffnete den Deckel.
»Autsch«, rief Jin, als er das blutige runde Sägeblatt sah.
»Wir müssen dieses Blut untersuchen, um sicherzugehen, dass alles sich tatsächlich so abspielte, wie wir das annehmen. Wir können dann die Hand und das Blut des Sägeblatts mit dem in meinem Auto vergleichen.«
»Glauben Sie, dass er mit diesem Meth-Labor zu tun hatte?«, fragte Pilgrim. Er und sein Assistent wuchteten gerade geräuschvoll eine weitere Leiche auf den Untersuchungstisch. Diane bemühte sich, das Rascheln des Leichensacks zu überhören. Wenigstens hatte man sie jetzt mit Leichensäcken versorgt. Anfänglich mussten sie die Leichen mit durchsichtigen Plastikplanen zudecken. Selbst die kaltschnäuzigen Laborgehilfen hatten das für ziemlich gruselig gehalten.
»Wahrscheinlich«, antwortete Diane. »Wenn er nur ein unschuldiges Opfer war, was machte er dann mit einer Pistole?«
»Genau«, meinte Rankin. »Dann ist es allerdings bittere Ironie, dass ausgerechnet er die geringsten Verletzungen davongetragen hat. Alle anderen Überlebenden haben äußerst schwere innere oder Kopfverletzungen erlitten. Er ist vielleicht der Einzige, der Licht in dieses Dunkel bringen könnte, aber ich habe gehört, dass sich bereits ein Anwalt um ihn kümmert und er wohl deshalb erst einmal nichts erzählen wird.«
Im Zelt war jetzt von allen Seiten empörtes Murren zu hören.
Für Dianes Geschmack hielten sich in diesem Raum schon viel zu viele Menschen auf. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Ständig wurden neue Leichen und Beweisspuren von der Brandstätte, Informationen von Angehörigen sowie Behördenunterlagen und Formulare der Stadtpolizei hereingebracht. Diane hoffte, dass ein Türwächter die Ein-und-aus-Gehenden kontrollierte. Sie hasste die Vorstellung, dass ein Reporter alle ihre Gespräche mithören könnte. Sie ließ den Blick durch das Zelt schweifen. Alle Anwesenden waren entweder Gerichtsmediziner, Techniker oder Polizisten, alle Gesichter waren ihr bekannt, und jeder erledigte hier offensichtlich nur seinen Job. Und an den Eingängen standen tatsächlich Wachen.
Diane wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Hand zu, die mit der Handfläche nach oben leicht gekrümmt vor ihr auf dem Tisch lag. Als Erstes fiel ihr auf, dass die Nägel offensichtliche Zeichen einer professionellen Maniküre aufwiesen.
»Er hat sich seine Nägel richten lassen«, sagte Jin. »Auch nicht gerade der Durchschnittsstudent.«
»Ich frage mich, was man aus seiner Handfläche herauslesen könnte«, sagte Diane und versuchte ein Lächeln.
»Dass er keine Zukunft hat.«
Er hatte so schnell geantwortet, dass ihn Diane anschaute und eine Augenbraue hob. Eigentlich hatte sie nur einen Witz machen wollen, aber die Ernsthaftigkeit in Jins Stimme überraschte sie nun.
»Die Zukunft steht in seiner rechten Hand, die Vergangenheit in seiner linken.«
»Oh?« Diane blickte ihn erstaunt an.
»Ich hatte mal eine Freundin, die sich fürs Handlesen interessierte. Die hat mir das erzählt.« Er grinste breit.
Sie vermaß derweil die Hand, fotografierte sie von vorne und hinten, nahm unter den Nägeln Proben, führte einen Hautabstrich durch und erfasste die Fingerabdrücke. Jin entnahm noch eine Gewebeprobe für den DNA -Vergleich. Danach legte er die Hand wieder in die Schachtel und holte die nächsten Leichenreste.
In diesem Moment drang das Quietschen eines Rollwagens an Dianes Ohr. Als sie aufblickte, sah sie, wie Lynn Webbers Laborgehilfe Grover gerade einen Leichnam vom mobilen Röntgengerät zum Kühlanhänger hinüberschob. Er hatte Mühe, den Wagen zwischen dem Leuchttisch und einem Rahmen hindurchzumanövrieren, an dem die Röntgenaufnahmen hingen, die er und Pilgrims Assistent bereits gemacht hatten. Schließlich stieß er gegen den Leuchttisch, an dem Allen Rankin gerade Zahnröntgenaufnahmen untersuchte, und murmelte eine Entschuldigung. Diane war sich keineswegs sicher, ob sie Rankin oder dem Leichnam galt. Tatsächlich bezeichnete er die verkohlten, verstümmelten Körper als »Babys«.
»All die armen Babys«, hatte er gesagt, als er zum ersten Mal die Brandstätte sah. »Diese armen, armen Babys.«
Grover war wahrscheinlich in den
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