Brandzeichen
mathematischen Grundlagen zurückzuführen waren. Die Lehrer mochten das. Für die Fortgeschrittenen gab es sogar ein Video über den algorithmischen Prozess, der bei der Herausbildung der Pigmentmuster eine Rolle spielte. Das war zwar nicht sehr populär, aber Diane ließ es auf dem Computer, weil sie wusste, wie dankbar ihr all die Lehrer waren, die ihren Schülern oder Studenten die höhere Mathematik beizubringen hatten.
Ein besonderer Anziehungspunkt waren hingegen die versteinerten Muscheln, nicht zuletzt deshalb, weil die Mineralien einiger spiralförmiger Schalen durch Pyrit ersetzt worden waren, so dass sie jetzt wie pures Gold aussahen. Diane war das dagegen irgendwie zu protzig.
Am liebsten waren ihr all diese hellen, stachligen, spiralförmigen, vielfarbigen unveränderten Schalen. Diese einfach nur anzuschauen, hatte für sie etwas zutiefst Beruhigendes. Für sie waren sie in dieser Hinsicht durchaus mit einem Vermeer-Gemälde vergleichbar.
Als sie gerade die Feinheiten einer besonders hübschen Pelikanmuschel betrachtete, hörte sie aus dem Labor der Wassertierabteilung laute Stimmen.
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15
A ls Diane zum Labor hinüberging, bemerkte sie, dass dessen Tür nur angelehnt war. Tatsächlich war nur
eine
laute Stimme zu vernehmen. Diane erkannte sie als die von Whitney Lester, der neuen Sammlungsleiterin der Wassertierabteilung.
»Ich weiß, dass Sie die Muscheln gestohlen haben. Es wäre für uns beide besser, wenn Sie das hier und jetzt zugeben würden.«
Diane konnte die Antwort nicht verstehen. Nur ein leises Murmeln drang durch die Tür.
»Ich habe es satt, mit Ihnen meine Zeit zu vergeuden. Sie werden Ihren Job verlieren. Das steht fest. Ob wir es zur Anzeige bringen, hängt jetzt ganz von Ihnen ab. Wo sind diese verdammten Muscheln? Ich werde es nicht zulassen, dass in meinem Verantwortungsbereich wertvolle Ausstellungsstücke abhandenkommen, verstanden?«
Als Diane das Labor betrat, bot sich ihr eine seltsame Szene. Whitney Lester hatte ein kleines Persönchen regelrecht in die Ecke gedrängt. Es war Juliet Price, deren Gesicht nacktes Entsetzen ausdrückte.
»Ich habe Ihre verdruckste Art satt. Antworten Sie mir endlich, verdammt!«, schrie sie Lester an.
»Was geht hier vor?«, ließ sich jetzt Diane vernehmen und versuchte, dabei so ruhig wie möglich zu klingen.
Whitney schaute verärgert in Dianes Richtung, bereit, jede Störung abzuwehren. Als sie Diane erkannte, zeigte ihr Gesicht eine gewisse Verblüffung, die dann einem gequälten Lächeln wich.
»Dr. Fallon, ich habe Sie gar nicht hereinkommen hören.«
Wie denn auch, bei diesem Gebrüll
, dachte Diane. »Was geht hier vor?«, wiederholte sie.
»Miss Price hat mehrere wertvolle Muscheln aus unserer Sammlung gestohlen. Ich versuche sie gerade dazu zu bringen, sie zurückzugeben.«
Diane schaute Juliet Price an. Diese hatte die Arme vor dem Bauch verschränkt und stand nach vorne gebeugt da. Ihre blonden Haare waren nach vorne gefallen und hingen ihr jetzt ins Gesicht.
»Dr. Price, geht es Ihnen gut?«, fragte Diane.
»Die hat nichts. Die simuliert nur.«
Diane ignorierte Whitney. »Juliet, geht es Ihnen gut?« Diane ging auf sie zu und führte sie zu einem Stuhl.
»Ich habe diese Muscheln nicht gestohlen«, flüsterte sie. »Ich brauche diesen Job.«
Diane hörte Whitney verächtlich schnauben. »Daran hätten Sie früher denken sollen …«
»Genug jetzt«, sagte Diane energisch. »Juliet, Sie werden Ihren Job nicht verlieren. Bleiben Sie kurz hier sitzen, und versuchen Sie, sich zu beruhigen. Ich bin gleich zurück.«
»Mrs. Lester, bitte kommen Sie mit in Ihr Büro«, sagte sie dann.
Whitney Lester sah aus, als ob man ihr einen Hieb zwischen die Augen versetzt hätte. »Sie lassen sie hier doch nicht ohne Aufsicht zurück, oder?«
»Mrs. Lester, bitte!« Diane ging in das Büro der Sammlungsleiterin und setzte sich hinter deren Schreibtisch.
Whitney Lester folgte ihr und stand ein paar Sekunden unschlüssig da, als ob sie warten würde, bis Diane von ihrem Schreibtisch aufstand. Nach einiger Zeit setzte sie sich auf einen Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand, und glättete ihren braunen Wildlederrock. Dann setzte sie sich kerzengerade auf und versuchte, durch ihren Gesichtsausdruck ihre ganze Missbilligung auszudrücken – wenigstens vermutete dies Diane, als Lesters Ausdruck von Überraschung und Verwirrung zu einer Art von Trotz hinüberwechselte. Schließlich strich sie sich über ihr graumeliertes
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