Brandzeichen
hast du über ihn herausgefunden?«, fragte David.
»Außer dass es sich um einen Mann von Anfang zwanzig handelt? Nach dem Aussehen seines Schädels und seinen Proportionen zu schließen, war er ein Weißer. Er hatte einen angeborenen Gehfehler. Er war ziemlich gesund. Einmal hat er sich das Steißbein gebrochen. Er war etwa ein Meter siebzig groß und Linkshänder. Ich werde eine stabile Isotopenanalyse einer Knochenprobe machen lassen. Danach sollten wir wissen, wo er aufgewachsen ist und was er gewöhnlich gegessen hat.«
»Garnett wird für eine solch teure Analyse aber kaum Geld lockermachen wollen«, gab David zu bedenken.
»Unser Primatenlabor schon«, sagte Diane. »Wozu bin ich denn Museumsdirektorin und Kuratorin des Primatenlabors, wenn ich nicht ab und zu eine SIA -Analyse anordnen kann?«
»Wer, glaubst du, ist er?«, fragte David.
»Wer er ist? Ich habe keine Ahnung.«
»Wie lange ist er schon tot?«
»Seine Knochen fühlen sich recht trocken an. Deshalb würde ich auf mehr als hundert Jahre tippen. Nach ein paar Tests mit diesen Knochen wissen wir mehr. Vielleicht war er ein Bürgerkriegssoldat. Aber das ist eine reine Vermutung. Wahrscheinlich hat jemand zufällig den Sarg gefunden und es für cool gehalten, die Knochen herauszunehmen, und dann sind sie irgendwie bei einem Collegestudenten gelandet.«
»Interessant«, sagte David. »Der arme Kerl fällt einem Kopfschuss zum Opfer und gerät dann hundert Jahre später in eine Explosion und ein mörderisches Feuer. Der Junge hatte nicht viel Glück im Leben wie im Tod.«
»Da wir gerade von glücklosen Typen sprechen«, sagte Diane, »erzähl mir von Blake.« Sie zog ihre Handschuhe aus, wusch sich die Hände, holte sich einen Stuhl, setzte sich zu David und beugte sich erwartungsvoll vor.
»Blake«, seufzte David. »Glücklos ist das richtige Wort. Eigentlich sollte es ein Vorteil sein, wenn man reich geboren wird, aber in seinem Fall würde ich das nicht sagen.
Ich
hätte so reich geboren werden sollen, ich wäre nicht so ein kleiner Scheißkerl geworden.«
»Wärest du doch, wenn du seine Eltern gehabt hättest«, sagte Diane. »Eigentlich tut er mir sogar leid.«
»Mir geht es genauso. Okay, ich erzähle dir, was wir bisher wissen. Als Blake aus dem Krankenhaus kam, hatte er einen Termin vor dem Richter. Der erhob zwar Anklage, entließ ihn aber in die Obhut seiner Eltern, obwohl er schon volljährig war. Geld kann in unserer Gegend immer noch viel bewirken. Auf jeden Fall konnte er mit ihnen heimgehen. Irgendwann in der folgenden Nacht wachte sein Vater auf. Er wusste nicht, was ihn geweckt hatte. Seine Mutter hatte Schlaftabletten genommen und bekam überhaupt nichts mit. Der Vater ging in Blakes Zimmer, aber der war nicht mehr da. Dann legte er sich wieder ins Bett.«
»Er hat nicht nach ihm gesucht?«, fragte Diane.
»Er sagte, sein Sohn sei ja schon erwachsen gewesen.«
»Er war aber in ihre Obhut entlassen worden«, sagte Diane.
»Ich habe nicht behauptet, dass seine Eltern sich durch besondere Konsequenz auszeichnen.« David rieb sich die Glatze. »Also diese Stühle sind wirklich nicht sehr bequem. Kann ich mich nicht auf die Couch in deinem Büro setzen?«
»Klar.« Diane stand auf und streckte sich, um ihr Kreuz zu entlasten. Danach ging sie mit David in ihr Osteologielabor.
»Das ist doch viel netter hier«, sagte er und ließ sich auf ihr Polstersofa fallen. »Wo war ich? Ach ja, der Vogel war gerade ausgeflogen. Der Vater meinte nun, ihn habe das Geräusch aufgeweckt, das sein Sohn beim Hinausgehen gemacht hatte, deshalb legte er sich wieder schlafen. Er dachte wohl, dass ein gerade aus dem Krankenhaus entlassener einhändiger Junge mitten in der Nacht schon auf sich selbst aufpassen könne.«
»Wohin ging sein Sohn?«, fragte Diane.
»Er kam nicht weit. Er wurde vom Hausmädchen im Bootshaus gefunden. Man hatte ihn in den Kopf geschossen. Es gibt keine Schmauchspuren.«
»Was für eine Waffe?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe keine Kugel gefunden. Es gibt auch keine Austrittswunde, also steckt sie noch in seinem Kopf.«
»Ich frage mich, ob sein Vater den Schuss gehört haben könnte? Hat er ihn vielleicht sogar aufgeweckt?«, fragte Diane.
»Warum hat er dann nicht die gesamte Nachbarschaft aufgeweckt? Schusswaffenlärm ist gerade übers Wasser sehr weit zu hören. Wir vermuten, dass der Täter einen Schalldämpfer benutzt hat.«
»Ein Schalldämpfer. Okay. Dann war es ein geplanter Mord. Vielleicht eine
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