Brandzeichen
würden. Der Behelfsbau aus weißer Leinwand nahm den gesamten Vorgarten eines leeren Hauses ein, vor dem ein ZU VERKAUFEN -Schild stand.
Städtische Arbeiter errichteten in aller Eile in unmittelbarer Nachbarschaft eine komplette mobile forensische Untersuchungsstation. Sie hatten bereits neben dem Leichenzelt blaue und weiße tragbare Toiletten aufgestellt. In der Einfahrt zu diesem Haus hatte man in einem kleinen Wohnwagen einen Befehlsstand eingerichtet. Auf der Straße parkte der Anhänger eines Kühllastwagens, der Leichen, Beweisstücke und spezielle empfindliche Untersuchungsgeräte aufnehmen sollte. Der ganze forensische Komplex sah sehr teuer aus und war es wohl auch, was Diane durchaus zu denken gab.
»Wir müssen noch tragbare Röntgengeräte und andere wertvolle Apparate hierherbringen, wenn wir unseren Job gut erledigen wollen. Man könnte das alles doch für viel weniger Geld und mit weit geringerem Aufwand in einem Krankenhaus hier in der Nähe erledigen.«
»Eine gute Publicity ist unbezahlbar«, entgegnete Garnett und deutete auf die andere Seite der Straße, wo die überregionalen Print- und Funkmedien aus Atlanta gerade ebenfalls eine kleine Zeltstadt errichteten. »Alle wollen sehen, dass die Behörden und staatlichen Stellen sofort die geeigneten Maßnahmen ergreifen.«
»Das ist wohl so.« In diesem Moment fiel Diane ein rundes Sägeblatt auf, das unter einer dicken Eiche halb begraben im Schnee lag. Sie ging in die Hocke, um es genauer zu betrachten. Garnett schaute ihr dabei über die Schulter. Diane holte aus ihrer Jackentasche eine Plastiktüte voller orangefarbener Markierungsfähnchen heraus.
»Haben Sie etwas entdeckt?«, fragte sie Garnett.
Diane steckte ein Fähnchen neben dem Sägeblatt in den Schnee. »Die rote Farbe auf der Schneide hier … Ich glaube, das ist gefrorenes Blut.«
Als sie sich gerade wieder aufrichten wollte, bemerkte sie ein Stück von dem Sägeblatt entfernt noch etwas anderes, das zwar von einer Schneeschicht bedeckt war, dessen Umrisse aber klar zu erkennen waren. Sie steckte ein weiteres Fähnchen neben diesen Gegenstand und stand dann auf.
»Ist das nicht eine Hand?«, fragte Garnett verblüfft.
»Ja. Und wenn ich mich nicht täusche, weiß ich auch, wem sie gehört. Dem Jungen, der mein Auto rauben wollte. Wahrscheinlich wurde das Sägeblatt von der Explosion hierhergeschleudert und hat ihn dann genau am Handgelenk erwischt. Es sieht wie ein sauberer Schnitt aus. Wenn er noch voll bei Sinnen gewesen wäre und seine Hand mitgenommen hätte, hätte man sie ihm vielleicht sogar wieder annähen können.«
Garnett sagte eine Zeitlang kein einziges Wort, starrte nur die Hand an und runzelte die Stirn. »Wenigstens lebt er noch«, sagte er dann.
Diane schaute zu dem ausgebrannten Haus hinüber. »Ja«, flüsterte sie, »wenigstens das.«
Sie gingen zur Straße zurück, wobei sie versuchten, in die eigenen Fußstapfen zu treten, die sie beim Hinweg hinterlassen hatten. Neben dem Pressezelt begann man gerade, ein weiteres, diesmal grüngestreiftes Zelt aufzubauen. Noch mehr Presseleute? Die Zeltstadt schien immer weiter zu wachsen. »Wer ist das denn?«, fragte sie Garnett.
»Das sind Kirchengruppen aus unserer Stadt. Sie wollen euch mit Kaffee und Sandwiches versorgen. Eine Art Kantine.«
Diane schüttelte den Kopf und schaute ihm in die Augen. »Wissen Sie, Garnett, das Ganze hier nimmt viel zu große Ausmaße an. Es wird uns aus dem Ruder laufen.«
»Dann müssen wir eben dafür sorgen, dass es das nicht tut.« Er nickte zu dem neuen Zelt hinüber. »Das ist auch für die Eltern. Bestimmt werden alle, die ihre Kinder nicht erreichen können, herkommen. Sie können sich dann dort hinsetzen, warten und mit jemand anderem als uns reden.«
Diane musste zugeben, dass dies keine schlechte Idee war. »Was ist eigentlich mit den Leuten, die in diesen Häusern leben?« Sie machte einen Halbkreis mit ihrer Hand. »Die möchten wohl auch möglichst bald in ihre Wohnungen zurückkehren.«
»Die meisten haben dazu bereits die Erlaubnis erhalten. Die Häuser direkt neben dem Explosionsherd wurden allerdings beschädigt, und ihre Bewohner bleiben vorerst im Hotel. Wir werden das unmittelbare Gebiet hier absperren, und die Polizei wird uns alle Leute vom Leib halten, die hier nichts verloren haben.«
Diane war allerdings immer noch nicht mit der Art und Weise einverstanden, wie die Stadt mit dieser Tragödie umging. Aber die Entscheidungen waren bereits gefallen.
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