Brandzeichen
wollte. »Wir haben dieses Gespräch doch schon früher geführt. Es kommt nicht darauf an, wer als Erster am Tatort eintrifft, Marcus. Die Gesetze des Staates Georgia legen eindeutig fest, dass in allen Fällen, bei denen Menschen ihr Leben verloren haben, der offizielle Leichenbeschauer des jeweiligen Amtsbezirks – in unserem Falle also ich – die oberste Autorität und Kontrolle ausübt, bis er seine speziellen Aufgaben erledigt hat und er die Verantwortung an eine andere Behörde übergeben kann. Ich weiß wirklich nicht, warum ich das den Leuten immer wieder erzählen muss.«
Seine dunklen Augen funkelten, und ein breites Grinsen ließ seine strahlend weißen Zähne aufblitzen. Zusammen mit seinem kurzen schwarzen Bart sah er in diesem Moment wie ein kleiner Teufel aus. Wie Jin machte ihm die Kälte anscheinend gar nichts aus, musste Diane denken. Er trug Jeans, ein weißes Baumwollhemd und darüber nur eine offene Lederjacke.
McNair hatte augenscheinlich das Gefühl, dass sich alle hier gegen ihn verschworen hatten. Diane konnte es an seinen Augen erkennen, als sein Blick zwischen Whit und Garnett hin- und herwanderte.
»Whit«, wollte er dann seine Gegenrede beginnen.
Erneut schnitt ihm Garnett das Wort ab und erläuterte Whit den Plan, den Diane ausgearbeitet hatte. Whit nickte.
»Klingt vernünftig. Es wäre sicherlich weit schwieriger, die Leichen zu bergen, wenn der Rest des Fußbodens auch noch zusammenbräche.« Whit schaute zu dem ausgebrannten Haus hinüber und schüttelte den Kopf. »Wir müssen die Leichen so schnell wie möglich dort herausholen, dabei aber äußerst vorsichtig vorgehen. Wenn das tatsächlich ein Meth-Labor war, könnten in diesen Trümmern noch höchst gefährliche Stoffe liegen. Die Gefahrgutleute sind auf dem Weg von Atlanta hierher. Sie werden sich mit dem Abwassertank befassen, der dürfte jetzt voller Giftstoffe sein. Das Ganze hier ist eine einzige Tragödie, und wir brauchen die Mitarbeit aller, wenn wir damit fertig werden wollen.« Er schaute jeden von ihnen an, während er sprach, und wandte sich schließlich Garnett zu: »Irgendeine Vorstellung, wie viele Leute in diesem Haus waren?«
»Ich lasse meine Leute gerade eine Liste mit den möglichen Namen anfertigen«, sagte Garnett. »Wenn sie wieder ansprechbar sind, reden wir mit den Überlebenden und schauen mal, was die uns erzählen können. Ich glaube, dies hier ist eine der größten Katastrophen in der Geschichte der Stadt Rosewood.«
»Marcus«, sagte Whit dann, »Sie sollten am besten erst einmal Ihre Feuerwehrleute befragen, da Sie ja erst später am Tag das Haus betreten können.«
Whits freundliche und zuvorkommende Art hatte die Situation für den Augenblick entspannt, obgleich McNair Garnett noch einen bösen Blick zuwarf, bevor er den Schauplatz verließ.
»Sollte ich wissen, was hier eigentlich vorgeht?«, fragte Diane, als McNair außer Hörweite war.
Einen Augenblick lang schaute Garnett McNair hinterher, als dieser durch die dünne Matschschicht zu seinem Auto stapfte.
»Albin Adler, der Stadtrat, möchte eine offizielle Untersuchung der gesamten städtischen Polizei durchführen lassen, weil dort angeblich vieles im Argen liege, und wird dabei von McNair mit allen möglichen falschen, aber schädlichen Informationen versorgt. Das Ganze geht schon eine Weile so, aber ich möchte es aus dieser Sache hier heraushalten.«
Diane mochte auch nicht unbedingt in diese Sache hineingezogen werden.
»Adler möchte zuerst als Bürgermeister und danach als Gouverneur kandidieren«, fügte Whit hinzu. »Dabei erledigen alle seine Verwandten die Drecksarbeit für ihn, und er muss eine Menge Verwandte haben.«
Die Mitglieder von Dianes Team hatten die ganze Zeit geduldig gewartet, alles Notwendige aus ihren Tatortkoffern herausgekramt und dabei so getan, als ob sie das Gespräch zwischen Garnett und Whit überhaupt nicht interessierte. Diane wusste allerdings, dass sie jedes einzelne Wort registriert hatten. David würde es in seiner tief gegründeten Paranoia bestärken, Jin war schon lange von den Winkelzügen der Lokalpolitik hier in den Südstaaten fasziniert, und Neva würde das hier Gehörte dazu benutzen, weitere Informationen aus ihren alten Freunden bei der Stadtpolizei herauszukitzeln.
Diane betrachtete sie einen Moment, bevor sie zu sprechen begann, und musste lächeln, als ihr wieder einmal bewusst wurde, wie sehr sie ihre Mitarbeiter mochte. Der vor seinen Gerätschaften kniende David
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