Brandzeichen
gewesen sei, und sie würde sagen, großartig, aber morgen sei bestimmt kein guter Tag. Morgen würde sie verkohlte Leichen identifizieren müssen. Frank würde ihr sein Mitgefühl ausdrücken und dabei genau das Richtige sagen; dann würde er sie daran erinnern, dass die Toten immerhin sie hätten, um ihre Sache zu vertreten, und danach würde er ihr sagen, dass er heimkomme, sobald er nur könne. Sie wünschte sich wirklich, dass er jetzt hier wäre. Frank schmuste gerne, und sie hätte jetzt jemanden gebraucht, der sie wärmte. Sie zog den Überwurf an sich heran, der am Sofaende lag, deckte damit ihre kalten Füße zu und schlief allmählich ein, während sie sich in Gedanken immer noch mit ihrem Freund unterhielt.
Plötzlich wurde sie wach. Diesmal war es aber keine Explosion vor ihrem Fenster, sondern das Handy, das in ihrer Tasche klingelte. Sie fischte es heraus und schaute auf das beleuchtete Display, bevor sie es öffnete und an ihr Ohr hielt.
»Chief Garnett«, sagte sie dann und hoffte, nicht allzu verschlafen zu klingen.
»Ich nehme an, Sie wissen, warum ich anrufe.«
[home]
3
U m neun Uhr morgens war die Luft immer noch so kalt wie in den Nachtstunden, als Diane ihre Wohnung hatte verlassen müssen. Der Himmel war grauweiß, und die Sonne ließ sich nicht sehen. Sie stand im knöcheltiefen Schnee direkt vor dem gelben Absperrband, das man um die ausgebrannten Reste eines Hauses gespannt hatte, dem Zentrum der nächtlichen Ereignisse. Im Gegensatz zu der strahlend weißen Fläche vor ihrem eigenen Apartmenthaus hatte der Schnee hier eine hässliche schwarze und graue Farbe. In der Luft hing immer noch der Geruch von Chemikalien, Rauch und nasser Asche.
Tatsächlich war von dem Haus nur recht wenig übrig geblieben: die Grundmauern, einige verkohlte Teile der Holzverschalung, geschmolzene Wasserrohre, die dabei die seltsamsten Formen angenommen hatten, zerbrochene und geschwärzte Badezimmer- und Küchenarmaturen, die Überreste eines Backsteinkamins und ein Teil des verkohlten Erdgeschossbodens, der jetzt über der dunklen Trümmergrube hing, die einst der Keller gewesen war. Es würde ihr also nichts anderes übrigbleiben, als die verkohlten entstellten Leichenformen in den Trümmern wie bei einem dreidimensionalen Bilderrätsel aufzuspüren. Sie fürchtete sich vor den nächsten Tagen.
»Der Chef der Feuerwehr hat mir gesagt, dass ein Meth-Labor im Keller explodiert sei.« Chief Garnett, wie üblich topmodisch in einen dunkelbraunen Überziehmantel gekleidet, stand neben Diane und betrachtete sich ebenfalls den Schaden. Er schüttelte den Kopf. »Im ersten Stock feierten sie gerade eine Party. Im Haus wohnte eine ganze Gruppe von Collegestudenten zur Miete.«
Douglas Garnett, der Chef der örtlichen Kriminalpolizei, war Dianes unmittelbarer Vorgesetzter in ihrer Funktion als Leiterin des Kriminallabors der Stadt Rosewood.
»Wissen Sie, wie viele Leute sich zum Zeitpunkt der Explosion im Haus aufhielten?«, fragte sie.
Es war so kalt, dass ihr Atem zu kleinen Wolken gefror. Dianes Nase wurde allmählich taub.
»Das wollen wir ja von Ihnen hören.« Er machte eine lange Pause. »Die Nachbarn sagen, sie hätten den ganzen Abend laute Musik gehört. Sie haben Leute auf der vorderen und der hinteren Veranda gesehen. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie viele es tatsächlich waren.«
»Lieber Gott«, flüsterte Diane.
»Wir haben ein paar Überlebende. Es sind Kids, die sich zur Zeit der Explosion vor dem Haus aufgehalten haben. Sie sind alle schwerverletzt, leben aber noch. Bisher ist unsere beste Informationsquelle wohl der Junge, der Ihr Auto rauben wollte. Von allen ist er immer noch im besten Zustand. Ich habe gehört, dass er inzwischen operiert wurde. Ich werde nachher mit ihm sprechen.«
Die Kälte kroch jetzt auch in Dianes mit Fleece gefütterte Jacke. Sie machte einige Kniebeugen und rieb ihre behandschuhten Hände aneinander. Garnett schien die Kälte dagegen gar nichts auszumachen. Er musterte mit den Händen in den Taschen ganz ruhig das ausgebrannte Haus.
»Ich habe allen Gerichtsmedizinern der Gegend – Rankin, Pilgrim, Webber – mitgeteilt, dass sie hier mithelfen müssen. Das alles muss ganz schnell gehen. Mich rufen ständig ängstliche Eltern an und wollen wissen, ob ihr Kind unter den Opfern ist.«
Beim Geräusch eines anlaufenden Generators schaute Diane die Straße hinunter, wo man gerade das Leichenzelt aufbaute, in dem sie und die Gerichtsmediziner arbeiten
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