Brann 01 - Seelentrinkerin
meinen, die Schultern, mit merklicher Schwerfälligkeit erhob es sich und entschwebte auf Rauchwolken. Der Tod war ohne Makel gewesen, dem Leib war keine Gewalt geschehen, es gab nichts, was die Erdseele zurückgehalten hätte, ein klarer Beweis dafür, wie ernst Csermanoa seine familiären Pflichten auffaßte.
Während das Feuer niederbrannte, wurde die Totenfeier lebendiger. Geschäftig eilten Bedienstete umher, ersetzten die leergefressenen Schüsseln und Platten durch frische Speisen, stellten neue Gefäße auf, in denen erwärmter, mit Gewürzen verrührter Wein dampfte, seilten die Lampen ab und versahen sie mit neuen Kerzen; die Freudenmädchen mischten sich unter die Gäste, scherzten und lachten mit ihnen, ließen sich mit Näschereien verwöhnen, flüsterten den Männern in die Ohren.
Für die Artisten war es eindeutig an der Zeit zum Gehen. Taguiloa schaute abwärts. Das Kind war fort. Einige Augenblicke lang verfolgte er das Geschehen noch; dann schlenderte er längs der Mauer des Sommergartens hinüber zum Pavillon aus Papier. Yarm hatte bereits die Sachen gepackt und sich zusammengerollt daneben schlafengelegt. Taguiloa rüttelte den Jüngling wach, lud sich das eigene Bündel auf und verließ Csermanoas Grundstück. Der dösige Pförtner kam gerade lange genug zu sich, um die Hand für ein Trinkgeld aus dem Verschlag zu strecken. Weil ihm nach Großzügigkeit war, drückte ihm Taguiloa, während er über Yarms Miene der Mißbilligung hinwegsah, ein Dutzend Kupfermünzen in die Hand; das breite freudige Grinsen, das er zum Dank erhielt, lohnte für sein Empfinden den Aufwand.
Während sie die verwundenen schmalen Straßen durchwanderten, blickte Yarm sich immer wieder um, ein Betragen, das Taguiloa allerdings erst bemerkte, als schon ungefähr die Hälfte des Wegs zum Künstlerviertel — zu dem Haus mit Garten, das er vom alten Gerontai geerbt hatte — hinter ihnen lag. Für eine Weile scherte er sich nicht um Yarms Unruhe, dann schaute er sich ebenfalls um, ahnte halb, was er sehen würde, und fand seine Ahnung bestätigt.
Der kleine blonde Knabe schlenderte ihnen ganz gelassen nach, unternahm nichts, um sich zu verbergen. Als er merkte, daß sie sich umgedreht hatten, winkte er ihnen mit einer Hand zu und sprang in eine Gasse zwischen zwei Häusern. Taguiloa tätschelte Yarms Schulter. »Keine Sorge«, sagte er. »Das Bübchen ist kein Grund zur Beunruhigung.«
»Wer ist er? Was will er?« Aufsässigkeit und Eifersucht klangen in der Stimme des Jünglings an.
Taguiloa musterte ihn mit böser Miene, dann ging er weiter, ohne auf die Fragen zu antworten. Yarm hatte einen biegsamen Körper und — wenn er wollte — schnellen Verstand, ferner ein gutes Gehör für Takt; außerdem indessen ein verqueres Gemüt, ohne daß er die geringsten Anstrengungen aufgewendet hätte, um sein Naturell zu mäßigen. Er war auf selbstsüchtige, nahezu abartige Weise besitzergreifend. Taguiloas anhaltende Strenge hielt ihn noch ein wenig im Zaum, aber die Wirkung schwächte zusehends ab. Er mußte ihn loswerden. Leider gab es in dieser Hinsicht Schwierigkeiten, vornehmlich Yarms Vetter, den Räuberführer Hammerfaust. Aber er mußte ihn loswerden.
Tief über ihre Köpfe flog eine Eule daher, stieß leise Rufe aus, stieg schräg in die Höhe, segelte im landwärtigen Wind, der im trüberen Dunkel kurz vor Anbruch der Morgendämmerung auffrischte. Erst schauderte es Taguiloa, aber dann lachte er über sich selbst. Der Knabe machte sich einen Scherz mit ihm, das war alles. Und folgte ihm nach Hause. Taguiloa spähte zu der Eule hinauf, setzte den Heimweg fort. Er konnte dagegen nichts tun. Ohnehin wußten gut und gern hundert Leute, wo er wohnte; sein Wohnsitz zählte nicht zu seinen Geheimnissen.
Einer gingen die Tage in den anderen über, bis eine Woche verstrichen war; ab und zu, wenn Taguiloa auftrat, zeigte der Knabe sich wieder, beobachtete ihn mit derartig wohlwollendem Interesse, daß er Taguiloa nicht die mindeste Sorge mehr einflößte, seine gelegentliche Gegenwart vielmehr mit Gleichmut und Neugier zur Kenntnis nahm. Er verzichtete auf Versuche, mit dem Knaben zu sprechen, nickte ihm lediglich zu und lächelte bisweilen.
Yarm begann eifersüchtig wegen des Buben zu zanken, beschränkte die Streiterei nur mit Mühe aufs Haus, machte das Daheimsein zu einer solchen Belastung, daß Taguiloa schließlich dem Zuhause fernzubleiben begann, wann immer es sich einrichten ließ, sogar das Üben
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