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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Morgen war hell, aber kühl, die Sonne schien gerade so stark, daß sie die Haut angenehm wärmte. Flötenspiel durchdrang das Brausen des Meeres, das heimelige Raunen der Zedern, das Rauschen der Weiden. Ladjinatuai, dachte er, dann hob er den Kopf, blieb stehen, als ein anderes Instrument zu spielen anfing, ein sehr klares fröhliches Wirbeln ziemlich metallischer Töne erklang, die die Melodie der Flöte umflirrten.
    Er betrat das Haus.
    Tari Schwarzdorn ruhte ausgestreckt inmitten eines Bergs Kissen auf einem niedrigen Diwan und schaute zwei Mädchen beim Tanzen zu. Am Rand der Strohmatte kniete ein zwergiger alter Mann mit ein paar Haarbüscheln auf der gesprenkelten, straff über den Schädel gespannten Kopfhaut, seine Finger tanzten wie Spinnenbeine über die Löcher der Flöte. Neben ihm saß auf einem orangeroten Sitzkissen eine kleine dunkelhaarige Frau, auf dem Schoß ein Instrument, das einer vergrößerten, im Aussehen abgewandelten Lautengitarre ähnelte. Ihre Haartracht bestand aus zahllosen winzigen Zöpfchen, von denen einige, anscheinend steif, über ihrem Scheitel putzige Schleifen bildeten. Sie trug kunstvoll gearbeitete Ohrringe, große Reifen, an denen überaus fein gefertigte Scheibchen baumelten. Sie hatte große blaue Augen, das Blau war so dunkel, daß es beinahe schwarz wirkte. Ihr kleines Gesicht war spitz, die Haut dunkel, von bräunlicher Färbung. Die Nase wies eine Neigung zur Hakenartigkeit. Der Mund war breit und rege, lächelte gegenwärtig, während sie den Mädchen beim Tanzen zusah. Die kurzen, eher stämmigen Finger bewegten sich mit behender Sicherheit über die Saiten, der elfenbeinerne Zupfkiel glänzte auf der dunklen Haut.
    Tari hob den Blick als Taguiloa eintrat, lächelte und nickte hinüber zu einem Haufen Kissen zu ihren Füßen. Taguiloa ließ sich darauf nieder, schaute ebenfalls den Mädchen zu. Beide waren noch sehr jung, zehn oder elf Jährchen, von ihren Eltern, kaum daß sie alt genug waren, um das Äußere absehen zu können, das sie einmal als Erwachsene haben würden, an die Welt des Nachtlebens verschachert worden. Taguiloa war dem Schicksal entgangen, in Freudenhäusern aufwachsen zu müssen, weil er seine Kunst in der harten Schule seines Meisters erlernt, Tungjii ihn mit einem gelenkigen Leib, Einklang der Gliedmaßen und Flinkheit begnadet und weil er viel Glück gehabt hatte. Er urteilte kühl und sachkundig über die Mädchen, er fand mehr Geschmack an reifen Frauen. Das eine, etwas dickliche Mädchen, ein dralles Geschöpf mit frechem Augenaufschlag, würde keine Tänzerin abgeben; es vollführte die richtigen Bewegungen, aber dem Tanzen mangelte es an Leben, es fehlten die Feurigkeit und Genauigkeit, die Tari Schwarzdorns Tänze auszeichneten. Das andere Mädchen war dünn und in der körperlichen Entwicklung noch ein wenig zurückgeblieben, görenhaft und etwas schlaksig, doch gab es dafür Anzeichen, daß es ein bestimmtes Maß jener Begabung haben mochte, die Tari Schwarzdorn zur erstrangigen Tänzerin Sililis erhoben hatte, bevor sie neunzehn wurde, eine Stellung, die sie seit fünfzehn Jahren hielt.
    Taguiloa drehte den Kopf und sah, daß sie ihn musterte. Langsam verzog ein Lächeln ihr die Mundwinkel. Sie bewegte das Gesicht selten auf eine Weise, die das Entstehen von Runzeln begünstigen könnte, eine Vorsichtsmaßnahme, die zu der Vielzahl strenger Grundsätze zählte, mit der sie fast alles in ihrem Leben regelte. Taguiloa war ein Bestandteil des winzigkleinen Gebiets, in dem Tari sich Gefühle erlaubte und die Gefahr von Kränkungen hinnahm, eines geringfügigen Bereichs der Verwegenheiten, aus dem sie den Zauber gewann, den sie ihren Tänzen einfließen ließ. Ihr Lächeln lief höchstens auf ein schwaches Kräuseln des Gesichts und ein Leuchten der Augen hinaus, aber Taguiloa verstand es zu genießen, seit er seinen siebzehnten Geburtstag in ihrem Bett gefeiert hatte. Vor acht Jahren. Sie befand sich heute auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn, er hingegen noch im Aufsteigen. Sie konnte noch einige Jahre lang den Glanz ihres Ansehens auskosten und sich danach würdevoll zur Ruhe setzen — wenn ihr keine Fehler unterliefen. In dieser Hinsicht beschritt auch sie den schmalen bröckligen Grat zwischen Ruhm und Mißachtung, sich stets dessen bewußt, daß ein Fehltritt ihren Untergang zur Folge hätte. Wie jeder Künstler und jede Künstlerin hatte auch sie lediglich ihre Gewitztheit, ihre Geschicklichkeit, ihre Fähigkeiten sowie den

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