Brann 01 - Seelentrinkerin
sondern war, gänzlich getrennt vom Klan, monate- und jahrelang durch die Lande gereist, hatte Harra mitgenommen. Völlig beansprucht von seinen Forschungen, hatte er aus Zerstreutheit unterstellt, sie werde schon irgendwie die Grenzen einzuhalten lernen, deren Beachtung ihre Mutter sie gelehrt hätte, behandelte sie jedoch nicht nur wie eine Tochter, vielmehr ebenso wie einen Sohn, vor allem nachdem sie so alt geworden war, daß er ihre rasche Auffassungsgabe erkannte, doch immerhin stellte er eine Dienerin ein, die dafür sorgte, daß sie ein gepflegtes Äußeres hatte, und ihr neue Kleider nähte, wenn sie welche brauchte oder wünschte. Als sie acht war, begann er sie in seinen Künsten zu unterrichten, unterwies sie in Musik und Zauberkunde, die ihm beinahe als ein und dasselbe galten; sie waren sich in ihren Interessen sehr ähnlich, standen einander sehr nah; er sprach viel mit ihr, häufiger, als daß er sich in Schweigen hüllte, redete mit ihr, als wäre sie ein Magier von seiner Gelehrtheit und in seinem Alter. Doch es gab auch Zeiten, da er sich vollauf in seine Forschungen vertiefte oder in den vielen Städten, in die sie auf ihren Landfahrten gelangten, andere Magier aufsuchte oder einer der abweisenden Einsiedeleien einen Besuch abstattete, die nichts Weibliches betreten durfte; dann verschaffte er ihr in einem der örtlichen Häuser Unterkunft. Sie lernte sich rasch örtlichen Gewohnheiten anzupassen, auf Anhieb die Gefahren zu erkennen, die einem jungen Mädchen drohten, wie sie sich davor schützen konnte, zur gleichen Zeit jedoch solche Freundschaften zu schließen, die ihre Einsamkeit etwas linderten. Bei Gelegenheit — indessen kam es selten vor — blieb ihr Vater bis zu zwei Jahren am selben Ort; manchmal hatte sie sich gerade an die Eigentümlichkeiten einer Stadt gewöhnt, ihre Gerüche, ihren Lärm und das Vergnügen, das sich dort finden ließ, zu schätzen begonnen, und dann brachen sie von neuem auf. Ein seltsames, manchmal von Sorgen geprägtes, zumeist unsicheres Dasein war es, und die Bürde, ihren von Ort zu Ort unterschiedlichen Haushalt zu führen, lastete vorwiegend, nachdem sie den zwölften Geburtstag gefeiert hatte, auf ihren schmalen Schultern, aber diese Belastungen waren eine ausgezeichnete Vorbereitung auf die Kunst des Überlebens, wie sich zeigte, als ihr Vater zwischen zwei Atemzügen an einer Gefäßerkrankung starb, von der niemand Kenntnis gehabt hatte. Nun hatte sie dank dieser Vorgeschichte den Vorteil gehabt, mit einem Blick das in einem Badehaus richtige Betragen erkennen und infolgedessen ihre aus der Kindheit mitbekommenen Vorurteile überwinden zu können. Zwar ihre Verlegenheit zu meistern außerstande, hatte sie sie verheimlicht, sich geradeso wie die übrigen Miglieder der Truppe entkleidet und war flugs ins für ihr Empfinden viel zu klare Wasser gestiegen. Sie achtete zunächst darauf, den anderen Schwimmern den Rücken zuzuwenden, während sie umherplanschte, hoffte darauf, die Wärme des Wassers gäbe ihnen eine Erklärung für ihr hochrotes Gesicht ab, doch am Ende fühlte sich sie gänzlich entspannt und gelockert, seufzte behaglich vor sich hin, während das warme Bad ihre Muskeln entkrampfte.
Inzwischen fühlte sie sich im Badehaus so wohl wie die anderen, sie beobachtete, wie Taguiloa bei sich lächelte, schwelgte im eigenen Wohlbefinden, freute sich auch für ihn. Proben waren eine Angelegenheit, aber am Schluß eines richtigen Auftritts so stürmischen Beifall, ein solches Wohlwollen der Zuschauerschaft genießen zu dürfen — wahrlich, das war eine ganz andere Sache, man konnte es Taguiloa kaum verdenken, wenn er sich vor Freude noch wie trunken fühlte. Harra war selbst eindeutig leichtmütig und albern zumute.
»Ich könnte mich dran gewöhnen«, sagte sie laut.
Taguiloa öffnete ein Auge, grinste ihr zu.
Die Tür zum Bad schwang auf, mehrere Dienstmädchen traten ein. In eine Ecke stellten sie einen langen Tisch, und auf ihn Tabletts mit Leckereien, mehrere große SteingutTeekannen, dazu Trinkschalen, Weinbecher, gewärmte Tücher. Die rundgesichtige Frau, die alles beaufsichtigte, verbeugte sich in Taguiloas Richtung. »Mit den Grüßen des Jamar, Saöm-y-Saör.«
Faul hob Taguiloa einen Arm aus dem Wasser. »Godalau segne ihn für seine Großzügigkeit.«
Die Alte verneigte sich nochmals. »Saöm, der Wirt wünscht euch nicht etwa zu stören, während ihr euch der Erquickung hingebt, jedoch ist es sein Wunsch, daß ihr erfahrt, es ist
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