Brann 01 - Seelentrinkerin
erregen, als wenn du bei uns bleibst. Du bist 'ne Angehörige der Künstlertruppe, auf die die Durateser bereits warten. Bis wir am Kaiserlichen Hof aufreten — falls wir's jemals dürfen —, bist du eine von uns, beachte das und sei vorsichtig.«
Brann hob die Hände, besah sie sich, ließ sie sinken. »So vorsichtig, wie's mir gestattet wird, Taga.«
5. Andurya Durat: Befreiung und andere Wunder
TAGUILOA HIELT DEN WAGEN auf der Höhe einer steilen Erhebung an, blickte vom Kutschbock hinunter auf eine gewundene Landstraße, die zu der Oasenstadt Andurya Durat führte. Zwei Ketten ausgedörrter, brauner, kahler Berge, uraltes Gebein der Erde, jeglichen Lebens entblößt und dem Verwittern überlassen, wehrten die Winde aus Osten und Westen ab, bildeten einen südwärtigen Windfang für die eisigen Winde aus den Nordebenen. Mit diesen Bergen im Hintergrund wirkte Andurya Durat doppelt grün und fruchtbar, es strotzte von dampfend-feuchtem, üppigem, dunklem Grün, bewässert durch die heißen Quellen am Fuß des Cynamacamals, des höchsten Gipfels im Umland, dessen kantiges Gleichmaß eine Wolkenbank verbarg, doch war die kegelförmige Kuppe heute sichtbar, dick bedeckt mit bläulich-weißem Schnee.
Während sie zerstreut ihrem reizbaren Reittier den Hals streichelte und tätschelte, blickte Brann hinüber zu dem Berg, empfand ein unerhört starkes Hochgefühl. Er glich einer kahlen Nachbildung des Tincreals. Warm und tröstlich spürte Brann Slyas Gegenwart. Sie würde dazu imstande sein, die Ihren zu befreien, zwar wußte sie noch nicht, wie es möglich sein sollte, aber das war nur eine Frage der Einzelheiten.
Taguiloa bemerkte, wie Brann den Berg betrachtete, und fragte sich, was an diesem Anblick sie zu so einem Lächeln bewegen mochte, das eine Sanftheit und stille Zufriedenheit widerspiegelte, wie er sie ihr zuvor nie angesehen hatte. Er schaute wieder zur Straße hinab, runzelte angesichts der dunklen Ausdehnung bebauter Flächen rings um die Ufer der Seenplatte die Stirn, atmete einmal tief durch und setzte den Fuß auf den Bremshebel, ließ die Zügel dem Zugpferd chen auf den Rücken klatschen, lenkte es den langgestreckten steilen Abhang hinunter, wünschte sich, er könnte auch bei Brann eine Bremse anwenden. Godalau mochte geben, daß sie nicht einfach drunten in Durat unter den Temueng zu wüten anfing.
Andurya Durat. Die Stadt wimmelte von Temueng sämtlicher Ränge. Sie glänzte von marmornen Meslaks, wie ungleichmäßige Zähne ans Ufer des größten Sees gebaut, in unmittelbarer Nachbarschaft des gewaltigen, noch immer unvollendeten Palasts, den der Kaiser und seine Untergebenen bewohnten, unterschiedlich großen Herrensitzen, in denen die Meslar-Großfürsten walteten, die den JamaraFürsten im Süden und den Basshar-nomaden-Häuptlingen im Norden Abgaben abforderten. Am Fluß und an den kleineren Seen standen die Schänken und Gasthöfe, in denen Jamara Unterkunft fanden, die aus dem Süden anreisten, wenn sie beim Kaiser eine Audienz zu erbitten beabsichtigten, um damit bei ihren Nachbarn prahlen zu können, wenn sie den Obersten Magistrat um ein rechtsgültiges Urteil anzurufen gedachten oder die Hauptstadt aus einem von tausend anderen möglichen Beweggründen aufsuchten; es gab Zeltplätze und Weidepferche für die Basshar, ihre Pferdezüchter, die aus den Zelten der Steppen mit verwöhnten Rassetieren kamen, um sie gegen kaiserliches Gold zu verkaufen, oder mit Herden von zum Schlachten bestimmter Kounax, auch mit Lederwaren, mit aus langen kräftigen Kounaxhaaren gewobener Kleidung, Garn, Tauwerk, Klebstoffen, beschnitzten Knochen oder sonstigen Erzeugnissen nomadischen Handwerks. Zwischen den Gehöften, die die Stadt ernährten, lagen verstreut Reitbahnen zum Bewegen der Pferde und Spielplätze, auf denen man mit Schlägern blutige Kounaxschädel über den Rasen schleuderte, eine lautstarke, grobschlächtige, aber allgemein beliebte Veranstaltung, die an frühere Zeiten erinnerte, als die Durater Temueng bloß Nomaden und Viehzüchter auf dem Meer aus Gras gewesen waren, immerzu dem Blöken ihrer Herden nachzogen, Kleinkriege um Wasser und Holz ausfochten. Vergangene Zeiten, von denen die Greise unter den Meslar voller sehnsüchtiger Wehmut erzählten, sie lobten die alte Stärke und Derbheit des Volkes. Einstige Zeiten, die selbst ihre leidenschaftlichsten Anhänger nicht im geringsten Neigung hatten, sie noch einmal zu erleben.
Hinter wuchtigen Mauern gab es ein anderes
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